Kanada - der Osten

Samstag, 26. August 2023

 

Ankunft in Halifax


Der Beginn unserer Reise nach Kanada erweist sich als glatter Fehlstart! Schon vor sechs Uhr morgens erreicht uns die Nachricht von Lufthansa, dass der Zubringerflug Zürich - Frankfurt annulliert  wurde. Keine weitere Auskunft, keine Umbuchung, Endlosschleife beim Kontaktversuch mit Lufthansa, dafür die Nachricht: „Leider können wir Ihnen nicht behilflich sein.“ Wir sind jedoch mit unserem Gepäck bereits eingecheckt und die Koffer von Zürich bis Halifax durchgebucht.

Der Anschlussflug Frankfurt - Halifax startet erst um 14:35 Uhr, das gibt uns genügend Zeit, auf eigene Faust die Bahnfahrt zum Frankfurter Flughafen zu organisieren. Umsteigen in Karlsruhe. Und die nächste Zitterpartie beginnt: Unser Zug hat 12 Minuten Verspätung, die Umsteigezeit beträgt aber nur 10 Minuten.

Wir hätten uns ja eigentlich darauf verlassen können, dass unsere nächste Verbindung Karlsruhe - Frankfurt ebenfalls Verspätung hat! Das Umsteigen in den hoffnungslos überfüllten Zug hat also gerade noch geklappt. Jetzt müssen wir am Frankfurter Flughafen nur noch unser Gepäck loswerden, das ja eigentlich schon eingecheckt ist. Wir irren durch die endlosen Gänge, die Laufbänder funktionieren nicht, die Zeit drängt, die Wege durch den Flughafen sind einfach zu weit … Kurzum, irgendwann sind die Koffer weg und nach weiteren endlosen Gängen (gemäss Handy-Aufzeichnung 5’300 Schritte bzw. 2.9 km), Liftfahrten hinauf und wieder runter, legen wir völlig erschöpft eine zeitliche Punktlandung zum Gate hin!

Sieben Stunden ruhiger Flug, mit XL-Plätzen und viel Beinfreiheit. In Halifax erwarten uns Windböen und Regen - aber wir sind angekommen!


Halifax

27. August 2023


Es nieselt zwar leicht, aber heute Nachmittag ist ein richtiges Unwetter vorhergesagt, deshalb laufen wir trotzdem los und erkunden die Umgebung. Wir wohnen sehr zentral und finden die wichtigen Sehenswürdigkeiten auf unserem Spaziergang.

Interessant sind die vielen bemalten Hausfassaden, sie bringen Farbe in Stadt, auch wenn sich der Himmel grau präsentiert. Im Juli fand hier ein „Mural Festival“ statt, an dem sich verschiedenen Künstler an Wänden und Plakattafeln so richtig ausleben durften.

In der Upper und Lower Water Street „lebt“ Halifax auch bei trübem Wetter: Besucher schlendern zwischen den Historic Properties und dem Pier 21, an dem zwischen 1928 und 1971 über eine Million Einwanderer in Kanada angekommen sind. Der Harbour Board Walk ist die erklärte Touristenmeile, an deren Ende auch der Farmer‘s Market liegt, in dem man u.a. Kunstgewerbe kaufen oder sich nach dem Fussmarsch verpflegen kann. So wie wir!


Halifax

28. August 2023


Wir müssen noch einmal zum Flughafen fahren. Wir hatten gestern den Mietwagen getauscht, er war uns viel zu gross (Ford Explorer, amerikanische Übergrösse, hatten wir gar nicht bestellt), wir  fühlten uns damit nicht wohl. Auch im Hinblick auf die kommenden Grossstädte (Montréal, Ottawa und Toronto - Parkplätze, Parkhäuser). Jetzt fahren wir einen Toyota RAV4 mit 4x4, fühlen uns wohl, hatten jedoch keinen neuen Vertrag erhalten. Wenn der Autoverleih Ende Oktober in Toronto von uns einen Monster-Ford erwartet und wir möchten „nur“ einen Toyota abgeben, könnte das Probleme bereiten. Aber nun sind unsere Papiere in Ordnung.

Und da wir schon mal raus sind aus der Stadt, unternehmen wir eine Landpartie. Es geht durch einsame Wälder, hügelige Landschaft, vorbei an einer Goldmine, entlang unendlich vielen Seen, an Mooseland und der Tangier Great Lake Wilderness Area. Für den Rückweg nach Halifax haben wir die abwechslungsreiche Küstenstrasse gewählt, mit vielen Ausblicken auf das Wasser. Und die Sonne hat uns heute wirklich verwöhnt.


Halifax - Lunenburg

29. August 2023


Unser erstes Ziel ist Peggy‘s Cove und der wohl bekannteste Leuchtturm Kanadas, ganz in rot und weiss, inmitten einer gewaltigen Felslandschaft. Wie erwartet, ist es hier total überlaufen. Der  kleine Ort mit seinen bunten Häusern gruppiert sich um die winzige Bucht, in der auch heute noch Fischer ihrer Arbeit nachgehen.

Der Name Peggy‘s Cove ist eng verbunden mit dem tragischen Absturz der Swissair MD11, Flug-Nummer 111 am 2.9.1998 - ziemlich genau vor 25 Jahren. Wir besuchen die Gedenkstätte, die etwas abseits von dem touristischen Rummel liegt.

Die Landschaft ist wunderschön, viel Wasser, viel Wald … in der Mahone Bay mit ihren zahlreichen Buchten und über 100 Inseln machen wir Halt. Im kleinen Ort Mahone Bay finden wir viele alte, gut erhaltene und farbenfrohe Häuser, überragt von sechs Kirchtürmen.

Wir erreichen Lunenburg am frühen Nachmittag. Die Stadt wurde 1753 vorwiegend von deutschen und Schweizer Siedlern gegründet. Viele der Holzhäuser in der Altstadt aus dem 18. und 19. Jh. befinden sich in gepflegtem baulichen Zustand und wurden von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt.


Lunenburg

30. August 2023


Nicht nur die Architektur der Stadt ist interessant. Sie gilt noch heute als bedeutendstes Schiffbauzentrum von Nova Scotia. Hier wurde der Schoner „Bluenose“ gebaut, der über Jahrzehnte hinweg  ungeschlagener Sieger der berühmtesten Frachtseglerregatta der Welt (International Fishermen‘s Trophy) war. Das Abbild der „Bluenose“ ziert die kanadische 10-Cent-Münze und auch die Autokennzeichen von Nova Scotia. Sie sank 1946 vor Haiti. Der Nachbau „Bluenose II“ liegt als Blickfang und Besuchermagnet hier im Hafen und bietet Segeltörns an.

Die „Bluenose II“ sollte eigentlich am frühen Nachmittag für zwei Stunden unter vollen Segeln in die Bucht fahren, leider lässt das schlechte Wetter dies nicht zu. Vielleicht haben wir morgen Vormittag noch einmal die Gelegenheit, das beeindruckende Schiff zu sehen.

Wir machen uns auf einen Stadtrundgang und besuchen die ältesten Häuser (von 1760, 1780, 1793). Die St. John‘s Church ist die zweitälteste anglikanische Holzkirche Kanadas (neugotisch) - und sieht einfach beeindruckend aus. Überhaupt ist die Altstadt mit den vielen bunten Holzhäusern ein richtiges Schmuckstück.


Lunenburg - White Point Beach

31. August 2023


Wir wollen unsere Chance wahren, die „Bluenose II“ unter vollen Segeln zu sehen und fahren deshalb gleich morgens nach Blue Rocks. Die Mannschaft des Schiffes hat uns verraten, dass sie dort  kreuzen würden.

Blue Rocks ist ein kleines Fischerdorf, in dem sich seit 1940 immer mehr Künstler niedergelassen haben. Heute ist es vor allem bekannt bei Kajak-Sportlern als bester Ort an der Südküste von Nova Scotia.

Und dann taucht tatsächlich das legendäre Segelschiff auf und kreuzt vor unserer Nase durch die Bucht.

Zurück in Lunenburg besuchen wir noch die Lunenburg Academy, ein imposantes viktorianisches Holzgebäude, das zwischen 1895 und 2012 als öffentliche Schule diente, in der Unterricht für 1. - 9. Klassen stattfand. Und dann wir sehen noch, wie die „Bluenose II“ - jetzt ohne Segel - wieder im Hafen einläuft.

Wir fahren weiter auf der „Route der Leuchttürme“, immer an der Südküste, bis wir Liverpool erreichen. Es ist bereits Kaffee- und Kuchen-Zeit und wir machen am besten in einem deutschen Café Halt. Es heisst „Paul‘s Bistro“, aber Paul entpuppt sich als Hans, der uns auch gleich von seiner Einwanderung erzählt.

Unser Ziel für heute ist das White Point Beach Resort. Weisser Strand, heranrollende Wellen, enorme Brandung, viele Strandläufer (mehr Vögel als Menschen) und vor allem wieder Sonne!


White Point Beach

1. September 2023


Der Tag steht ganz im Zeichen des Kejimkujik Nationalparks. Der durch ausgedehnte Seenplatten geprägte Park ist in erster Linie ein Paradies für Kanuten. Die sanfte flache Landschaft mit  ausgedehnten Wäldern ist aber auch bei Campern, Naturliebhabern und Wanderern sehr beliebt.

Wir suchen uns zwei leichte Trails aus, starten gemütlich mit dem Mill Falls-Trail am rauschenden Fluss Mercey mit seinem ohrenbetäubenden Wasserfall, geniessen dann die Ruhe auf dem Weg zum Peter Point, laufen durch den dichten Urwald aus Ahorn und Tannen, vorbei an Feuchtgebieten, ruhen an einem See mit kleinem Sandstrand aus … Natur pur. Wir hören überhaupt kein Gezwitscher und erfahren, dass sich die Vögel bereits für die Migration in den Süden sammeln.

Zurück in unserem White Point Beach Resort, reicht die Energie auch noch für einen Strandspaziergang.


White Point Beach - Digby

2. September 2023


Die lokale Presse berichtet heute ausführlich vom „Trauma von Nova Scotia“. Gemeint ist der Absturz der Swissair vor Halifax, der sich heute zum 25. Mal jährt. Das Unglück hat sich in aller  Gedächtnis festgesetzt.

Wir folgen weiter der Küstenstrasse nach Süden und machen einen kurzen Halt in Lockeport, das Städtchen ist ganz von Wasser umgeben, hat noch ein paar alte Häuser und eine Fischfang- und Lobsterflotte.

Von Shelburne haben wir im Zusammenhang mit den Wildfeuern schon gehört. Die Stadt wurde von zwei Bränden in die Zange genommen, ist aber mit dem Schrecken davongekommen. Denn dann folgte der grosse Regen. 

Heute ist die von britischen Loyalisten gegründete Stadt (1783) mit Werften und einem grossen Naturhafen einer der attraktivsten Orte an der South Shore. Viele Bauten an der historischen Waterfront sind gut erhalten bzw. renoviert. Und Rainer kommt hier endlich zu einer Muschelmahlzeit. 

Wir fahren weiter quer durchs Land, endlos gerade Strecken durch Wald, vorbei an Seen, am Strassenrand sitzt sogar ein neugieriger Schwarzbär, der aber schnell ins Dickicht flüchtet.

Wir erreichen ahnungslos unser Ziel Digby, finden die halbe Stadt abgesperrt und hören schon von weitem einen Höllenlärm: An diesem Wochenende findet die „Motorrad Wharf Rat Rally“ statt. Die unzähligen Teilnehmer sind aus dem ganzen Land angereist, verstopfen die Stadt und die Restaurants und haben den grössten Spass daran, den Motor so richtig röhren zu lassen. Schön ist etwas anderes …


Digby

3. September 2023


Da eine Stadtbesichtigung wegen des Motorradtreffens illusorisch ist, fahren wir nach Digby Neck. Das ist eine 70 km lange Landzunge, die sich in die Bay of Fundy schiebt, dann geht es mit der Fähre  weiter zum Long Island.

Man findet Fischerdörfer, Sandstrände, bizarre Basaltformationen, Leuchttürme, Seevögel. Die meisten Besucher kommen aber wegen der Walbeobachtungen, Kanadas Ostküste ist dafür ein sehr gutes Revier. Da wir aber bereits mehrere Male auf Whale Watching-Ausflügen waren (Island, Neuseeland), übt das auf uns keinen besonders grossen Reiz mehr aus. Jedenfalls heute noch nicht. Aber wir sind ja noch eine Weile in Kanada.

Digby liegt übrigens an der Bay of Fundy, die zweimal täglich ein Naturschauspiel bietet. Man misst hier den höchsten Tidenhub der Welt: Der Pegelunterschied zwischen Ebbe und Flut beträgt bis zu 16 Meter. An vielen Orten sieht man deshalb schwimmende Stege, die mit dem Wasserstand steigen oder sinken.


Digby - Wolfville

4. September 2023


Puh, draussen herrscht dichter Nebel. - Heute ist Labour Day, das bedeutet für Schüler und Schülerinnen letzter Ferientag und für uns Touristen, dass nun viele Sehenswürdigkeiten, Restaurants in touristischen Gebieten und Ausflugsangebote schliessen oder stark eingeschränkt werden.

Wir fahren nach Annapolis Royal und besuchen das Fort Anne, das von Engländern, Franzosen und den Mitgliedern der First Nation (Mi‘kmaq) am stärksten umkämpfte Gebiet von ganz Kanada. Und das in einem Zeitraum von über zwei Jahrhunderten. Fort Anne avancierte zur britischen Hauptstadt in Nova Scotia, bis Halifax 1749 diese Funktion übernahm.

Im Ort gibt es eine deutsche Bäckerei „Sachsen Café“. Wir sichern uns zwei Stücke Kuchen für unseren Nachmittagskaffee.

Am Annapolis River befindet sich ein Gezeitenkraftwerk mit einer Dammlänge von 225 Metern, aus der Kraft des Tidenhubs von sieben Metern wird Strom für 4‘500 Haushalte erzeugt. Und hier sehen wir unerwartet einige Fischadler, einer von ihnen hat tatsächlich einen Fisch in den Klauen.

Wir fahren durch das Annapolis Valley, ein fruchtbares, landwirtschaftlich genutztes Tal mit vielen Obstplantagen, vor allem Apfelbäumen.

Rainer hat noch ein Hummer-Defizit, deshalb ist das „Lobster Pound“ in Hall‘s Harbour unser Ziel fürs Mittagessen. Das scheint eine gute Adresse zu sein, der Parkplatz ist voll und das Restaurant auch gut besucht. Man merkt hier schon den grossen Tidenunterschied, die Häuser und die Hafenanlagen stehen auf hohen Pfählen. Leider ist es immer noch nebelig und die Sicht auf das Fischerdorf entsprechend getrübt.

Wolfville wurde von akadischen (französischen) Siedlern gegründet, die aber 1755 deportiert wurden. Danach kamen neuenglische Farmer, später folgten britische Loyalisten. Heute ist der Ort eine lebendige Universitätsstadt mit vielen historischen Gebäuden.


Wolfville - Baddeck

5. September 2023


Wir müssen heute eine längere Fahrstrecke bewältigen, umso schöner ist die Tatsache, dass die Sonne scheint. Wir fahren zuerst noch einmal nach Wolfville, um herauszufinden, wie das Hafenbecken  bei Ebbe aussieht. Gestern Abend floss die Flut langsam ab. Der Anblick ist ernüchternd: Das ganze Hafenbecken ist ein einziges Schlammloch!

Wir kämpfen eine Weile mit unserem Navi, das ständig einen grellen Pfeifton von sich gibt und uns immer zur nächsten Tankstelle führen möchte, obwohl wir noch für gut 300 km Benzin im Tank haben. Der Vormieter muss irgendeinen Wert eingegeben haben, den wir nicht löschen können. Aber wir schaffen es, das Navi auszutricksen. 

In Antigonish machen wir einen Zwischenhalt. Maike hat hier an der St. Francis-Xavier-Universität eine Weile als Postdoktorandin an einem Forschungsprojekt gearbeitet. Deshalb sind wir natürlich neugierig und schauen uns um. Wir schicken ihr ein paar aktuelle Bilder, da sie sich gern an ihre Zeit hier zurückerinnert.

Bald darauf erreichen wir Cape Breton Island, den bekanntesten und schönsten Teil von Nova Scotia. Leider nieselt es inzwischen. Unsere Unterkunft befindet sich in Baddeck, einem beliebten Urlaubsort am Bras d’Or Lake mit grossem Freizeitangebot.


Nova Scotia - Neufundland

6. September 2023


Baddeck. Der Blick aus dem Fenster verheisst nichts Gutes: Regen und Nebel. Deshalb gehen wir als Erstes ins Museum. Alexander Graham Bell hatte hier seinen Sommersitz, er verbrachte die letzten 30  Jahre seines Lebens bis zu seinem Tod 1922 zum Grossteil in Baddeck. Man kennt A. G. Bell als Erfinder des Telefons, doch er war ein vielseitiger Mann, Erfinder und Tüftler. Er beschäftigte sich auch mit Flugtechnik und Luftkissenbooten, baute das schnellste Boot der Welt und gestaltete riesige Drachen. Aber immer im Vordergrund stand sein Bestreben, die Situation von Taubstummen zu verbessern und sie zu schulen. Dieses Museum beherbergt originale Artefakte, Filme und Fotografien seiner Arbeit. Wir sind erstaunt, wie brechend voll es hier ist.

Inzwischen hat es aufgehört zu regnen und wir fahren nach Sydney, der grössten Stadt auf Cape Breton Island, vor allem bekannt als Fährhafen für die Schiffe nach Neufundland. Wir lassen uns aber die grosse Geige (The Big Fiddle) im Hafen nicht entgehen. Australiens Sydney hat zwar das Opernhaus, Nova Scotias Sydney dafür die grösste Geige der Welt (18 Meter hoch)!

Wir fahren zum Fährhafen in North Sydney und rollen auf unser Schiff. Die Überfahrt nach Neufundland wird ca. 16 Stunden dauern, Tabletten gegen die Seekrankheit sind in der Handtasche …


Argentia (Hafen) - Trepassey

7. September 2023


Nach 16 Stunden auf relativ ruhiger See erreichen wir Argentia, den Hafen auf Neufundland. Wir haben beide sehr gut geschlafen, das leichte Rollen der Fähre hat uns sozusagen sanft ins Reich der  Träume geschickt.

Wir müssen die Uhr umstellen, jetzt sind wir eine halbe Stunde näher an Europa gerückt (Zeitunterschied nur noch viereinhalb Stunden).

Nachdem wir uns mit den anderen Passagieren durch die endlosen Gänge und über die Treppen hinunter auf das Autodeck gewälzt und nach mühsamer, aber erfolgreicher Suche unser Auto auch wiedergefunden haben, fällt Rainer ein, dass er seinen Rucksack in der Kabine gelassen hat. Er sitzt bereits am Steuer, viel Zeit haben wir nicht, also renne ich los …

Neufundland gefällt uns auf Anhieb: viel Wald und Wasser, entweder Seen oder die Küste, gewundene Strassen, kein Verkehr. Wann immer wir auf Einheimische treffen, erhalten wir Ratschläge, was wir „unbedingt“ anschauen müssen. Wie zum Beispiel den Castle Hill oberhalb von Placentia, einst eine Festung, heute vor allem ein Aussichtspunkt über die Bucht.

Unser Ziel heisst Trepassey, eine kleine Fischergemeinde in der Trepassey Bay an der südöstlichen Ecke der Halbinsel Avalon. Bereits 1508 kannten Fischer aus Frankreich, Spanien und Portugal diesen Hafen. Und im Hafen von Trepassey startete 1928 der Flug der „Friendship“ mit Amelia Earhart als Passagierin an Bord, der ersten Frau, die später (1932) allein über den Atlantik flog. 

Jetzt warten wir nur noch auf besseres Wetter für viele schöne Neufundland-Bilder!


Trepassey - St. John’s

8. September 2023


Wir starten bei Regen und Nebel. Dann gibt es heute eben keine Fotos mit blauem Himmel, wir suchen einfach am Wegesrand nach Motiven, die auch bei schlechtem Wetter für sich sprechen. Wir sind eifrig  bei der Sache, halten immer wieder an und wundern uns, dass wir so guter Laune sind!

In Ferryland gibt es einen Leuchtturm, bei dem man ein Essen bestellen kann. Man erhält dort einen Picknickkorb mit allem, was dazu gehört, setzt sich auf die Wiese vor dem Leuchtturm, geniesst die wunderbare Aussicht aufs Meer und isst dabei. Leider war der Nebel heute so dicht, dass wir den Leuchtturm gar nicht zu Gesicht bekommen haben, obwohl wir über eine schreckliche Schotterpiste ganz nah an ihn herangefahren sind.

Ferryland wurde bereits 1621 gegründet, heute ist die archäologische Ausgrabungsstätte „Colony of Avalon“ mit angeschlossenem Museum die Hauptattraktion.

Wir fahren auf der Halbinsel Avalon weiter an der Küste nach Norden, in Bay Bulls bringen Boote Touristen zum Whale and Bird Watching - nicht besonders sinnvoll bei Nebel.

St. John‘s, die Hauptstadt Neufundlands, bietet auch bei schlechtem Wetter einiges. Das Stadtbild wird vor allem durch die vielen bunten Holzhäuser bereichert, die sich an den steilen Strassen aneinanderreihen. Die Engländer gründeten hier 1583 ihre erste Kolonie, St. John‘s kann sich daher als älteste Stadt Kanadas bezeichnen. Kriege, Katastrophen und Zerstörungen konnten der Stadt nichts anhaben, sie entwickelte sich zu einer sehr lebhaften, freundlichen Hafenstadt. Wir bleiben zwei Nächte.


St. John’s

9. September 2023


Wir haben einiges auf dem Programm und fangen mit dem Signal Hill an. Er gilt als bester Aussichtspunkt auf die Stadt und ist gleichzeitig Wahrzeichen. Im Cabot Tower (erbaut 1897) wurde 1901 die  erste transatlantische drahtlose Nachricht aus England empfangen. Der Blick auf St. John‘s und die enge Einfahrt in den geschützten Hafen ist super.

Nächster Anlaufpunkt ist der Stadtteil Quidi Vidi, ein Fischerdorf und Künstlerstandort. Wir können in den kleinen Ateliers den Künstlern beim Arbeiten mit Glas, Leder, Holz, Stoff (Quilts) zuschauen und sie lassen sich auch freudig in jedes Gespräch ein.

An der zerklüfteten Küste von Cape Spear markiert ein Monument den östlichsten Punkt des amerikanischen Kontinents. Von hier ist die Entfernung nach Irland geringer als nach Toronto. Auf den 75 Meter hohen Klippen thront der Leuchtturm von 1835, der älteste von Neufundland, der nur noch als Museum dient.

Leuchttürme gibt es hier wie Sand am Meer. Auch am ehemaligen Fort Amherst am Hafenausgang steht einer. Den nehmen wir als „Zugabe“ noch mit, nachdem wir den Fotopunkt für die Häuser am Hang unterhalb des Signal Hills gefunden haben.

Wir sind noch nicht müde und statten dem modernen Museum The Rooms noch einen Besuch ab. Zu sehen sind moderne Kunst der Inuit, Ausstellungen zur Geschichte, Natur und Kultur der Ureinwohner. Ausserdem bietet das Museum ein Observation Deck mit einem weiteren schönen Blick über die Stadt.


St. John’s - Trinity

10. September 2023


St. John‘s gefällt uns sehr, aber wir wollen weiter, Neufundland hat noch viel zu bieten. Es geht ein Stück nach Westen, auf die Bonavista-Halbinsel. Wenn wir vom Wetter mal absehen, war die Fahrt  durch weite Wälder und vorbei an unendlich vielen grösseren und kleineren Seen, auf gewunden Strassen bergauf und bergab wieder wunderschön.

Bonavista ist ein kleines Fischerdorf mit einer besonderen Besucherattraktion: einem gestreiften Leuchtturm. Er war von 1843 bis 1962 in Betrieb und ist heute ein Provinzmuseum über das Leben in einem Leuchtturm in den 1870er Jahren. 

Im Dungeon Provincial Park erfährt und sieht man mit eigenen Augen spektakuläre Beispiele davon, mit welcher Gewalt Wellen und Erosion neue Felskompositionen aus jahrtausendealten Klippen geformt haben. 

In Elliston gibt es die Möglichkeit, Papageientaucher zu sehen, ohne dass man mit dem Boot hinausfahren muss. Dort steht ein Vogelfelsen so nah an den Klippen, dass man mit blossem Auge Möwen, Kormorane und Papageientaucher sehen kann. Das lassen wir uns nicht entgehen. - Elliston beansprucht für sich auch den Titel „Welthauptstadt der Root Cellars“. Root Cellars sind in die Erde gegrabene Keller, in denen über Winter Wurzelgemüse (roots) aufbewahrt wurde, um es vor Frost zu schützen. 135 Keller sind dokumentiert, einige davon sind über 200 Jahre alt.

Und dann erreichen wir schon Trinity, ein weiteres Fischerdorf mit viel Atmosphäre, gepflegten bunten Häusern - und wir fühlen uns auf der Stelle wohl!


Trinity - Happy Adventure (Ortsname!)

11. September 2023


Es hat die ganze Nacht wie aus Kübeln gegossen. Das wird sich heute auf alle Wanderwege negativ auswirken …

Trinity ist so ein hübscher Ort, bevor wir ihn verlassen, klettern wir noch auf den Gun  Hill und schauen von oben auf die bunten Häuser und den Leuchtturm hinab. Die Hoffnung auf einen blauen Himmel hat sich zwar nicht erfüllt, trotzdem lohnt sich der Weg.

Viel gepriesen und überall erwähnt wird der Skerwink Trail mit den „schönsten und abwechslungsreichsten Wanderwegen auf Neufundland“. Der Rundweg startet in Trinity East, führt bergauf und bergab, über Stock und Stein, Wurzeln und Schotter, durch Matsch und Pfützen (der Regen letzte Nacht!), über Treppen und Holzplanken … Aber das stört alles überhaupt nicht, denn die Aussicht auf die Küste, Felsformationen und von Wind und Wellen gestalteten „Skulpturen“ ist einfach grandios. Wir bereuen keinen einzigen Schritt.

Wir lassen die Bonavista-Halbinsel hinter uns. Weder das Navi noch Google Maps hat unseren nächsten Aufenthaltsort gelistet, wir finden ihn auf der Halbinsel Eastport, nördlich des Terra Nova Nationalparks. Wir sind erleichtert, als am Strassenrand wirklich das Ortsschild „Welcome to Happy Adventure“ auftaucht! 

Zum Abendessen probiert Rainer endlich ein Elch-Steak. Als Beilage gibt es Poutine, eine kanadische Spezialität aus Pommes Frites mit Käse und Bratensauce. Rainer probiert zwar, verlangt dann aber sehr schnell nach Ketchup!


Happy Adventure

12. September 2023


Hier der endgültige Beweis, dass es den Ort Happy Adventure wirklich gibt! Der Blick von unserem Balkon zeigt uns die Bucht mit ein paar bunten Häusern, direkt unter dem Balkon steht der hoteleigene  kleine Leuchtturm. Einfach schön.

Das Wetter lädt nicht gerade zu grossen Touren ein, aber wir ziehen unsere Regenkleidung an und laufen eine kleine flache Runde um den Sandy Cove Pond. Ganz in der Nähe liegt der Sandy Cove Beach, ein sichelförmiger Sandstrand, den wir bei Nieselregen auch noch einmal hin und wieder zurück ablaufen. Mit insgesamt knapp sechs Kilometern muss das für heute genug sein.

Wir ziehen eine Ruhetag ein, arbeiten ein wenig im „Home Office“. Es gibt immer ein paar Mails, die geschrieben werden wollen, und ein paar Grüsse per Postkarte an Freunde, die sich der modernen Kommunikationsmittel verweigern oder sich aufgrund des hohen Alters nicht mehr damit auseinandersetzen.

Für so einen Ruhetag sind wir am richtigen Ort, der tolle Ausblick ist trotz des grauen Himmels inspirierend, die Kaffeemaschine läuft, der Kühlschrank ist mit Getränken gefüllt. Und ja, Wäsche waschen könnte man auch …


Happy Adventure - Twillingate

13. September 2023


Auf unserem Weg heute liegt Gander. Obwohl wir keine Luftfahrtexperten sind, interessiert uns das North Atlantic Aviation Museum, dem wir einen Besuch abstatten. Als der Luftverkehr über den Atlantik  noch mit Propellermaschinen abgewickelt wurde, war Gander als europanächster Flughafen Nordamerikas für alle Flugzeuge der erste Zwischenstopp zum Auftanken. Nach Inbetriebnahme 1938 war Gander der grösste Flughafen der Welt. 
Inzwischen nutzt der Zivilverkehr Gander nur noch in Notfällen. Beispiel: Nach dem Terroranschlag am 11. September 2001 wurde der Luftraum über den USA gesperrt, 39 Maschinen wurden umgeleitet, in Gander strandeten 6‘700 Passagiere, die alle versorgt und untergebracht wurden. 
Und während der Betriebszeit des Space Shuttle war Gander ein möglicher Notlandeplatz bei einem Startabbruch.

Unser Ziel heisst Twillingate. Über vier Strassendämme sind das Fischerstädtchen und seine Nachbarinseln mit dem Festland verbunden. Twillingate liegt an der Iceberg Alley. Hier treibt der kalte Labradorstrom bis Anfang Juli Eisberge aus Grönland und der Polarregion an Neufundland vorbei. Ein guter Aussichtspunkt für dieses touristische Highlight ist das Long Point Lighthouse. Wir sind für dieses Schauspiel leider zu spät im Jahr hier.


Twillingate

14. September 2023


Die Insel ist ein wahres Wanderparadies. Es gibt unzählige Trails an der spektakulären Küste, aber auch moderate um kleinere Seen oder auf die Hügel. 

Wir starten in dem Dorf Durrell, flache  Buchten, Holzstege ins Wasser, bunte Häuschen auf den Felsen und kurvige Strassen führen zum Startpunkt des Trails „French Beach“. Die Küste ist an diesem Ende der Insel eher flach, grüne Flächen wechseln mit steinigen ab, das Meer immer im Blick.

Uns zieht es aber bald ins Inselinnere und hoch hinaus zu vier verschiedenen Aussichtspunkten auf immerhin 100 m ü.M. Die Route heisst Top of Twillingate und bietet 360 Grad-Rundblicke über die Inselwelt und den Atlantik. Es hat sich gelohnt! 

Wir fahren noch einmal zum Long Point Lighthouse, da heute das Wetter und die Sicht besser sind. Der Leuchtturm wurde 1875 erbaut und liegt auf einem Landvorsprung an der Notre Dame Bay. Leider sichten wir auch heute keinen Eisberg ☹️ …


Twillingate - Grand Falls-Windsor

15. September 2023


Über und durch gefühlt tausend Inseln, über Brücken und einfache Dämme, hinein in den dichten Wald - so entfernen wir uns von der Küste. Es geht ins Inselinnere von Neufundland, das zuerst von  Holzfällern besiedelt wurde. Dort entwickelte sich die weltgrösste Papierfabrik, die Zeitungspapier produzierte und weltweit exportierte. Die Ureinwohner, die Beothuck, wurden bereits in der ersten Hälfte des 19. Jh. von den weissen Zuwanderern ausgerottet.

Hauptort und drittgrösste Stadt Neufundlands ist Grand Fall-Windsor am Exploits River, dessen Wasserfall der Stadt den Namen gab (14‘000 Einwohner).

Besonders interessant ist die Wanderung der Atlantiklachse. Damit sie am Exploits River zusätzlich einen über 80 km langen Laichplatz im Fluss erhielten, wurde eine gigantische Fischleiter um den Wasserfall herumgebaut. Mit künstlichen Strudeln werden die Fische über 35 Pools in einer Länge von 150 Metern bis über den Wasserfall „dirigiert“. Sie überwinden dabei 20 Höhenmeter. Durch ein Fenster in einem der Becken kann man den Lachsen zusehen.

Interessant ist auch, dass pazifische Lachse nach nur einer Laichablage sterben, während atlantische Lachse drei- bis viermal laichen können.

Die Stadt selbst bietet nicht viel, ein Museum über das Leben der Holzfäller im 19. Jh. wurde inzwischen geschlossen.


Grand Falls-Windsor - Rocky Harbour

16. September 2023


In Erwartung des Hurrikans Lee sind heute alle Fährverbindungen zum Festland gestrichen worden. Die Menschen hier sind total gelassen, sie seien Wind gewöhnt. Wir bereiten uns vor und ziehen noch  einmal Bargeld (falls der Strom ausfällt und keine Kartenzahlung mehr möglich ist), kaufen Obst, Joghurt und Schokolade als Notverpflegung und tanken das Auto voll.

Ein Newfie (= so nennt man die Neufundländer) hat uns eindringlich dazu geraten, unbedingt einen Stopp in King‘s Point einzulegen. Der 800 ft (= 244 m) hohe Wasserfall sei phänomenal. Da sich der Umweg in Grenzen hält, fahren wir hin. 

Wir finden eine grüne Wildnis vor, einen total vermoosten, mystischen Wald, Stege und Stufen, die uns hinauf zu einer Plattform bringen. Und können tatsächlich den oberen Teil des Wasserfalls sehen, der über die Felsen und dann in einen Pool stürzt. Nur befindet sich der Wasserfall nicht in King‘s Point, sondern in Rattling Brook.

Dafür bekommt Rainer in King‘s Point als zweites Frühstück eine Portion riesengrosse Muscheln - der Tag ist gerettet!

Es regnet den ganzen Tag. Wir erreichen den Gros Morne National Park und fahren zu den Tablelands. Das Gebiet entstand durch tektonische Verwerfungen, durch die aus 10 km Tiefe eine ockergelbe Gesteinsschicht an die Oberfläche gehoben wurde. Sie ist völlig kahl, während andere Berge ganz in der Nähe dicht bewaldet oder zumindest begrünt sind. So entstand ein gemischtes Landschaftsbild (karg und wüstenartig bzw. grün), das aus Hochflächen, Bergen und Tälern besteht (UNESCO-Weltmaturerbe). Wunderschön!

Rocky Harbour liegt mitten im Nationalpark, direkt am Golf von St. Lawrence - und hier scheint die SONNE!


Rocky Harbour

17. September 2023


Das Warten auf Lee, den zum tropischen Sturm redimensionierten Hurrikan, lähmt irgendwie. Allerdings haben wir zum ersten Mal seit langem schon morgens einen blauen Himmel. Da Sturm und Regen nicht vor 14 Uhr erwartet werden, besuchen wir noch den Western Brook Pond im Gros Morne Nationalpark. Wir wären gern mit dem Schiff in den Binnenfjord gefahren, aber wegen des Wetters sind alle Aktivitäten im Fjord abgesagt worden. Aber schon der Spaziergang vom Parkplatz durch den Wald und übers Moor bis zum Schiffsanleger lohnt sich. Hier liegt übrigens eine vier Meter dicke Torfschicht.

Die Sonne scheint und beschert uns eine Temperatur von 24 Grad - wohltuend! Und dann geht es ziemlich schnell zu, der Himmel verdunkelt sich, Stühle fliegen über die Terrasse des Restaurants, eine Bö zerrt beängstigend stark an meinem Rucksack (ich stehe wackelig auf dem Bootssteg) und wir machen uns lieber auf den Rückweg. Es sind immerhin noch drei Kilometer bis zum Parkplatz. 

Wir erlauben uns trotzdem noch einen Abstecher zum Lobster Head Cove-Leuchtturm, der sich in seinem strahlenden Weiss eindrücklich von dem sehr dunklen (um nicht zu sagen: schwarzen) Himmel anhebt. 

Am Abend kommt die Entwarnung vom Wetterdienst. Für Neufundland besteht keine Gefahrenstufe mehr - nur „normaler“ Regen und Wind. In Nova Scotia und New Brunswick hingegen sind grosse Aufräumarbeiten nötig, über 275‘000 Menschen waren/sind ohne Strom.


Rocky Harbour - St. Anthony

18. September 2023


Es hat die ganze Nacht gestürmt, der Wind hat das Meer ins Ufer gepeitscht, dazu Dauerregen. Heute Morgen ist der Spuk vorbei. Und nach unserer Abreise aus Rocky Harbour erscheint - wie zur  Versöhnung - auf dem Meer ein perfekter Regenbogen. Schon ein altes Sprichwort sagt: Auf Regen folgt Sonne ☀️!

Der Weg ganz an die Nordspitze von Neufundland ist lang, die Fahrt eher eintönig, links immer der Golf von St. Lorenz, rechts Wald und die Long Range Mountains. Wir unterbrechen die Fahrt am Cow Head. Der Parkplatz ist farbenfroh mit Steinen und WC-Häuschen gestaltet, wir machen eine Wanderung zur Spitze der Halbinsel, entdecken mitten im dichten Fichtenwald einen Leuchtturm von 1909 (damals gab es wahrscheinlich die Bäume noch nicht?!) und am Ende des Trails eine besondere Art Ufergestein von tektonischen Verwerfungen. 

Eine weitere Überraschung erwartet uns ein paar Kilometer weiter nördlich: Arches. Aus einer gewaltigen Felswand, die einsam auf dem Strand steht, hat das Meer an mehreren Stellen grosse Bögen herausgespült.

Die ganze Strecke in den äussersten Norden nennt sich Viking Trail, da die Wikinger die Ersten waren, die dort Siedlungen errichteten, lange bevor Christoph Kolumbus Amerika entdeckte.

Eine Besonderheit an dieser Strecke sind die Domestic Gardens. Das sind kleine Areale direkt am Strassenrand, mit Pfosten abgesteckt, die privat bewirtschaftet werden. Vor allem die Familien der Fischerdörfer nutzten die Flächen an der Strasse zum Anbau von Kartoffeln, Kohl, Karotten, Salat, Zwiebeln usw. Es gibt hier kein Eigentum an den kleinen Grundstücken, aber auch kaum Diebstahl. Und wir sehen heute tatsächlich Menschen in den Parzellen arbeiten.

In St. Anthony steht uns ein Schock bevor - das Thermometer zeigt nur noch 10 Grad. Gestern Vormittag waren es noch 24! Die Kälte kriecht uns in die Knochen, ganz besonders im Wind an den Klippen, auf denen der Fox Point-Leuchtturm steht. 

Es geht hier einfach nichts ohne Leuchtturm und bunte Stühle! 😉


St. Anthony

19. September 2023


Der Grund, warum St. Anthony auf dem Reiseplan der meisten Touristen steht, ist die UNESCO-Welterbestätte L‘Anse aux Meadows. Hier wird der Beweis erbracht, dass sich die früheste bekannte  europäische Ansiedlung in Nordamerika an der Nordspitze Neufundlands befindet. Norse-Wikinger aus Grönland erreichten die Küste um 1‘000 n.Chr. Erst 1960 fand ein norwegisches Forscherpaar acht überwucherte Wikingerhäuser. Heute vermitteln drei rekonstruierte Häuser ein beeindruckendes Bild der kargen Lebensbedingungen. Die Hauswände bestanden aus Torf, die Dächer waren mit Grassoden bedeckt.

In der Nähe der Anlage befindet sich die Statue von Leif Eiriksson, der als Urahn aller Emigranten aus nordischen Staaten gilt.

Auf dem Weg nach L‘Anse aux Meadows sehen wir immer wieder grössere Holzstapel und Männer mit Kettensägen, die handliche Stücke aus den Stämmen sägen. Die Stämme werden vom Holzhändler auf ein kleines Stück Land am Strassenrand geliefert, das man vorher privat von der Gemeinde gepachtet hat. Dort wird das Holz dann verarbeitet und abtransportiert. Der nächste Winter steht vor der Tür. Das Thermometer zeigt heute kalte sieben Grad. Wir nutzen die Chance und sprechen einen der sägenden Männer an, der nur allzu bereit ist mit uns zu schwatzen.

Die Landschaft ist wunderschön, hügelig, bewaldet, Seen oder das Meer mit kleinen Inseln mittendrin, Steilküsten, Kiesbuchten, farbige Häuser, kleine Dörfer …

St. Anthony würdigt eine berühmte Persönlichkeit mit einer dauerhaften Ausstellung und einem Museum. Der Arzt Wilfred Grenfell kam 1892 nach Labrador und Neufundland und machte sich zur Lebensaufgabe, Armut und Elend in den entlegenen Siedlungen hier zu beseitigen. Er sorgte für die Verbesserung der Lebensumstände, kümmerte sich um Geld für die Gründung von Schulen, Kranken- und Waisenhäusern und wird bis heute verehrt. Wir besuchen das Museum - Schlechtwetterprogramm. Eine Wanderung an der Küste macht heute keinen Spass.


St. Anthony

20. September 2023


Trotz des Regens fahren wir los. Die Landschaft ist auch im grauen Dunst des Nieselregens schön und es gibt noch zwei Küstenabschnitte, die wir in Augenschein nehmen möchten. Und wenn wir auch  keine Fotos machen, so wissen wir doch, worauf der Reiseführer uns aufmerksam machen wollte.

Cape Onion bietet inmitten von Wildblumen einen herrlichen Blick auf die raue felsige Küste mit Landzungen und vorgelagerten Inseln, die heute im dunstigen Grau fast verschwinden.

Ship Cove ist die nördlichste Gemeinde auf Neufundland mit 75 Einwohnern und einer wilden Küste. Bei dem Wetter aus dem Auto auszusteigen, macht keinen Sinn. Da hält ein anderes Auto neben uns, wir drehen die Scheiben runter und beginnen ein lockeres Gespräch mit dem Newfie (= Neufundländer). So geht das oft. Die Einheimischen sind sehr darauf bedacht zu wissen, wer da so bei ihnen neugierig herumfährt, gleichzeitig sind sie sehr freundlich und mitteilsam und geniessen den Schwatz durchs Autofenster ganz offensichtlich. Er schimpft auf die Eisberge, die hier im Sommer vorbeischwimmen und auf die Wale, die ihm den Fang wegfressen. Er war sein Leben lang Fischer. Foto oben

Es sind solche Begegnungen, die uns auch bei schlechtem Wetter animieren, einfach rauszugehen bzw. loszufahren. Jeder hat hier etwas zu erzählen, einen guten Ratschlag oder mindestens ein freundliches „Wie geht‘s“.

Wir nutzen den ruhigen Nachmittag im Hotel mit der Planung unserer Weiterreise, konsultieren die Reiseführer und schauen, was wir morgen nicht verpassen dürfen.


St. Anthony - Corner Brook

21. September 2023


Der Norden von Neufundland macht dicht. Das Besucherzentrum in St. Anthony ist bereits seit zwei Tagen geschlossen, wir waren die letzten Besucher. Das Wikingermuseum hat noch bis 4. Oktober offen,  dann ist auch dort Schluss. An vielen kleinen Restaurants hängt bereits ein Schild „closed“. An den Strassenrändern stecken schon die Latten für den Schneepflug. Ab jetzt wird es für Individualreisende schwierig. 

Wir verlassen heute bei 6 Grad, strömenden Regen und starkem Wind den freundlichen und schönen Norden, der uns trotz des teilweise widrigen Wetters gut gefallen hat. Wir fahren den eintönigen, einschläfernden Viking Trail (Route 430) zurück - 400 km geradeaus, oft sehr schlechte Strasse mit tiefen Spurrillen und noch grösseren Schlaglöchern, teilweise richtigen Kratern. Es gibt nur diese eine Strasse entlang der Küste des Gulf of St. Lawrence.

Wir halten ein paar Mal, um die hohen Wellen und die Brandung anzuschauen, mit der hochsprühenden Gischt immer wieder ein Naturspektakel. Und natürlich stehen auch auf den Klippen die farbigen Stühle, die einfach zu diesem Land gehören.

Die Landschaft ändert sich schlagartig, als wir wieder durch den Gros Morne Nationalpark fahren: richtige Berge und Täler, durch die sich das graue Band der Strasse schlängelt. Wir besuchen im Park noch den Wasserfall Southeast Brook Falls, auch um während der langen Fahrt etwas Bewegung zu bekommen.

Corner Brook, unser Übernachtungsort, liegt in der Westküste an der Bay of Islands und ist mit 20’000 Einwohnern die zweitgrösste Stadt auf Neufundland.


Neufundland - Nova Scotia

22. September 2023


Der Wecker klingelt um sechs Uhr morgens. Bis zur Fähre in Port aux Basques sind es 226 km, Nebelschwaden ziehen durch die Täler und über die Seen. Später bricht die Sonne durch die Wolken und  zeigt uns nach langer Zeit wieder einmal ihr strahlendes Gesicht.

Schaumkronen sitzen auf dem unruhigen Meer, aber das Fährschiff liegt relativ ruhig im Wasser. Die Überfahrt von Neufundland nach Novia Scotia dauert diesmal nur sieben Stunden. Das bedeutet, viel Zeit zum Lesen.

In Sydney, Nova Scotia, stellen wir unsere Uhr eine halbe Stunde zurück und sind wieder fünf Stunden hinter der mitteleuropäischen Zeit. Ein Spaziergang an der Hafenpromenade vermittelt so etwas Ähnliches wie ein Gefühl des nach Hause Kommens. Von hier sind wir vor mehr als zwei Wochen nach Neufundland abgereist. 

Und die untergegangene Sonne verfärbt den Himmel orange.


Sydney - Ingonish

23. September 2023


Da wir den Cape Breton Highlands National Park ansteuern und nicht wissen, wie die Versorgung dort ausfällt, füllen wir in Sydney noch einmal unsere Vorräte auf. Vor allem Obst, Joghurt,  Studentenfutter, Schokolade, Mineralwasser - damit kommen wir im Notfall immer zurecht. Zahnpasta ist auch alle.

Eine Fähre bringt uns über die St. Anns Bay - und wieder müssen wir nichts bezahlen. Als wir das letzte Mal kostenlos transportiert wurden, dachten wir, dass die kleinen Fähren sonntags vielleicht immer umsonst sind. Aber heute ist Samstag …?!

Und dann sind wir auf dem berühmten Cabot Trail, einer Rundstrecke von ca. 300 km auf einer der landschaftlich schönsten Routen der Welt. Der Küstenabschnitt bis Ingonish ist voller wilder Schönheit, Felsvorsprünge aus rosarotem Granit ragen ins Meer hinaus, Cape Smokey bietet wunderbare Ausblicke auf das Meer und den Küstenverlauf.

Seit zwei Jahren gibt es in Ingonish auch eine Luftseilbahn (kleine Gondeln), die bisher einzige in Ostkanada. An der Talstation warten bereits in Reih und Glied die Schneekanonen auf den Beginn der Skisaison.

Auf der Middle Head Peninsula gibt es einen exklusiven Golfklub, die Keltic Lodge. Wir essen hier noch etwas und nehmen dann die Wanderung bis zur Spitze der Halbinsel unter die Füsse. Eine wunderbare Wanderung durch Wald mit herrlichen Ausblicken auf das Meer und die felsige Küste. Der Trail wird wohl demnächst gesperrt werden, Archäologen graben und sieben und finden Steinwerkzeuge der Mi‘kmaw (Ureinwohner), die ein paar tausend Jahre alt sind. Wir können uns kurz mit den Forschern unterhalten.

Dieser erste Teil des Cabot Trail hat uns schon mal sehr beeindruckt. Trail bedeutet in diesem Fall nicht „Wanderweg“, sondern ist eine Strassenroute. Morgen geht es weiter.


Ingonish - Chéticamp

24. September 2023


Wir setzen unsere Umrundung des Cape Breton Highlands auf dem Cabot Trail fort. Das Hochland selbst ist für den Verkehr nicht erschlossen, keine Strasse führt hindurch. Dafür gibt es unzählige Wanderwege. 

Unsere erste Wanderung führt uns auf einem Rundweg um den Warren Lake. Im Nationalpark leben Elche, Schwarzbären und Kojoten; im Besucherzentrum haben wir ein Faltblatt erhalten, wie man sich bei einer Begegnung mit Bär oder Kojote verhalten soll. Aber keines von den Tieren lässt sich blicken, dabei hätte ich gern eins vor die Kamera bekommen.

Auf dem Cabot Trail kommen wir nur langsam voran, da immer wieder auf Aussichtspunkte hingewiesen wird, die wir natürlich nicht auslassen, weil sie immer einen Blick wert sind. In Neil‘s Harbour verlassen wir den Cabot Trail, bleiben an der abwechslungsreichen Küste und werden mit vielen Fotosujets belohnt.

Zurück auf dem Cabot Trail, fahren wir durch die dichten Wälder des Hochlands mit vielen unvergleichlichen Aussichtspunkten und machen Halt beim Lone Shieling Trail. Wir laufen durch einen 350 Jahre alten Zuckerahornwald und kämpfen gegen Mücken, Fliegen und sonstiges Ungeziefer. Hier im Grande Anse Valley befindet sich der grösste Hartholzwald mit uraltem Baumbestand von Ostkanada.

In Pleasant Bay mit seinem kleinen Hafen erreichen wir wieder die Küste. Auf einer spektakulären und kurvenreichen Strecke gelangen wir nach Chéticamp, wo wir zwei Nächte bleiben und morgen noch einmal Gelegenheit haben, den Nationalpark zu besuchen.


Chéticamp

25. September 2023


Rainer (und seine Kniegelenke) geben „grünes Licht“ für eine weitere Wanderung im Cape Breton Highlands National Park. Wir entscheiden uns für den beliebten Skyline Trail mit seinen  spektakulären Aussichten. Er verläuft auf dem Grat des French Mountain und endet am Klippenrand 400 m ü.M. Nicht nur der Blick aufs Meer direkt unter uns, sondern auch auf die abenteuerliche Strassenführung des Cabot Trails ist lohnenswert.

Hier oben wird intensiv aufgeforstet, nachdem durch den grossen (gefrässigen) Elchbestand kein Wald mehr, sondern zum Teil nur noch Savanne vorzufinden ist. Elche dürfen in Kanada gejagt werden, deshalb hat sich der Bestand inzwischen sehr vermindert.

Chéticamp ist ein lebendiges Fischerdorf und Zentrum der akadischen Kultur auf Cape Breton. Dieser Küstenabschnitt wurde ab 1755 durch Französisch sprechende Akadier besiedelt, die der Deportierung durch die Briten entgehen wollten. Man sieht im Ort oft neben der kanadischen auch die akadische Flagge wehen (blau/weiss/rot mit einem gelben Stern).


Chéticamp - Pictou

26. September 2023


Mit Chéticamp lassen wir auch die Französisch sprechenden Akadier hinter uns, nahtlos übernehmen die Schotten. Auf unserem Weg nach Süden werden die Ortsnamen zweisprachig geschrieben: englisch  und gälisch. Auf einem Friedhof stehen nur Grabsteine mit schottische Namen (MacMillan, MacKinnon, MacDonald). Die Schotten begleiten uns bis zu unserem Ziel heute - Pictou.

Am Strassenrand fordert auf einem Plakat eine Farmerstochter „visit me“. Wir verstehen das als Einladung und finden einen etwas grösseren Hofladen mit Farmprodukten und Selbstgebackenem. Schon auf dem Parkplatz erreicht uns der Duft der Zimtschnecken! Wir erliegen der Versuchung - aber sie sind so riesengross, dass wir die Hälfte einpacken müssen.

Über Port Hastings gelangen wir wieder aufs Festland von Nova Scotia. Über Antigonish und Cape George reisen wir auf dem Sunrise Trail, immer am Wasser entlang, bis wir Pictou erreichen.

Wir haben so viel über das Städtchen gelesen und freuen uns auf den malerischen Hafen in Abendstimmung. Und werden herb enttäuscht: Der Dreimaster Hector, mit dem 1773 die ersten Schotten in Pictou ankamen, liegt zwar am Quai, wird aber zurzeit restauriert. Das historische Haus daneben gleich mit. Das gesamte historische Hafengebiet wird renoviert. Die Hector sollte eigentlich zu ihrer 250-Jahrfeier fertig sein …

Hier in Pictou erleben wir zum ersten Mal die Auswirkungen von dem Hurrikan Lee, der vor kurzem Nova Scotia verwüstet hat: In unserem Hotel wurde die Internet-Anlage in Mitleidenschaft gezogen und noch nicht repariert. Also kein W-Lan für uns … Im Hafen sehen wir Kiosk-Buden, die mit Betonblöcken und Spannsets sturmsicher befestigt wurden. Auch eine Methode!


Nova Scotia - Prine Edward Island (PEI)

27. September 2023


Beim Frühstück in unserem Hotel in Pictou ergibt sich ein interessantes Gespräch mit der Besitzerin. Sie ist Chinesin aus Xinjiang und 2012 mit ihrer Familie nach Kanada immigriert. Sie hat über  ihre Auswanderung und ihr Leben als Immigrantin in Kanada ein Buch geschrieben. Das persönliche Gespräch mit ihr - auch im Hinblick auf unsere zweimalige Reise nach Kashgar - veranlasst uns, das Buch zu kaufen.

In Caribou Harbour/Nova Scotia nehmen wir die Fähre in die Provinz Prince Edward Island. Die Provinzhauptstadt Charlottetown ist die einzige Stadt der Insel und die Wiege der kanadischen Konföderation, die 1867 von den verbliebenen britischen Nordamerikakolonien mit der „Dominion of Canada“ verabschiedet wurde.

Wir fahren entlang der Küste nach Osten bis zum Cape Bear und Murray Harbour. Hier ist Landwirtschaftsgebiet mit Anbau von Kartoffeln, Sojabohnen, Mais, aber auch Weinreben, wir sehen Mähdrescher und Kartoffelvollerntemaschinen. Die Erde und die Klippen sind feurig rot und erinnern an Australien. Auf einer Tannenspitze sitzt ein Weisskopfadler, im Meer vergnügen sich Seehunde … Dann geht es hinauf an die Nordküste zum Greenwich Nationalpark St. Peters. Über einen schwimmenden Boardwalk gelangen wir über einen See mit viel Schilf in die Dünen aus feinstem gelben Sand. Wir sind überrascht und begeistert, auch weil die Beschreibung im Reiseführer nicht annähernd die Atmosphäre vermitteln kann.

Unser Hotel in Charlottetown besteht aus einem charmanten Ensemble aus alten farbigen Holzhäusern, die im Moment mit fürchterlich hässlichen Vogelscheuchen „verziert“ werden - hier ist Vogelscheuchenfestival!


Charlottetown (Prince Edward Island)

28. September 2023


Unser Mietwagen verlangt einen Ölwechsel! Zum Glück gibt es nicht weit vom Hotel einen Drive-in-Service für sofortigen Ölwechsel, der auch mit der Mietwagenfirma direkt abrechnet. Sehr praktisch  und effizient.

Die Insel ist so vielseitig, es macht Spass einfach herumzufahren und überall da, wo es gerade schön ist, für ein Foto anzuhalten. Da sind die hellen Sandstrände mit den Dünen, aber auch hohe rote Klippen. Und an praktisch jeder Ecke befindet sich ein Leuchtturm.

Ein Riesenkommerz wird in Cavendish mit dem Haus der „Anne of Green Gables“ veranstaltet: Lucy Maud Montgomery hat im gleichnamigen Roman die Stätten ihrer Kindheit und Jugend am Leben erhalten, die Schauplätze sind noch weitgehend vorhanden. 

In Kensington fällt uns ein riesiges Fachwerkhaus auf. Es handelt sich um ein Geisterhaus für inszenierte Nächte der Angst. Besonders gefragt an Halloween.

Charlottetown wird heute wieder von zwei Kreuzfahrtschiffen heimgesucht. Wir machen einen Bummel durch die Stadt, zum Hafen und durch die populäre Victoria Row mit ihren vielen Restaurants, Pubs und Bistros und staunen über unzählige historische Backsteinbauten. Und fast an jedem Haus und an jeder zweiten Laterne ist eine Vogelscheuche befestigt - am Wochenende steigt das entsprechende Festival!


Prince Edward Island - New Brunswick

29. September 2023


Wenn man bedenkt, dass es auf Prince Edward Island insgesamt 63 Leuchttürme gibt, habe ich mich doch ganz schön zurückgehalten! Aber sie sind auch das Wahrzeichen von PEI, wie diese Provinz auch  kurz genannt wird.

In Charlottetown findet man viele Strassenecken, die mit bunten Blumen oder Sträuchern bepflanzt sind. Das geht auf die Initiative „Adopt a Corner“ zurück. Privatpersonen, Hotels oder Gewerbetreibende „adoptieren“ eine Strassenecke, bepflanzen sie, pflegen sie natürlich und verschönern damit das Bild der Innenstadt. Gute Idee!

Auf dem Weg zur 13 km langen Confederation Bridge zum Festland machen wir einen Abstecher in das kleine Fischerdorf Victoria. Beim Anblick des Gebäudes neben dem Friedhof fragen wir uns: Kirche oder doch Leuchtturm? Der Kirchturm ist nämlich rotweiss gestreift …

Wir verabschieden uns von Prinz Edward Island, fahren über die 1997 erbaute Brücke und sind nun in unserer vierten kanadischen Provinz: New Brunswick. Wir bedauern ein wenig, die Inselwelt mit ihren sympathischen und entspannten Bewohner zu verlassen. Denn jetzt nähern wir uns den grösseren Städten mit mehr Verkehr und wahrscheinlich nicht mehr ganz so gelassenen „Städtern“. Wir werden sehen.

Die Fahrt ist kurz, wir erreichen Moncton bereits mittags und haben genügend Zeit, gleich mal durch die Stadt zu bummeln. Eine Besonderheit in Moncton: Zweimal täglich füllt und leert sich der Petitcodiac River. Bei Flut scheint der Fluss wegen des hereinströmenden Meerwassers mit einer bis zu 60 cm hohen Welle bergauf zu fliessen.


Moncton - Cape Hopewell

30. September 2023


Heute ist „Orange T-Shirt Day: Jedes Kind zählt!“ Man gedenkt und erinnert an die vielen indigenen Kinder, die früher in kirchliche Internate gesteckt worden waren. Mehr als 4‘100 starben  infolge Gewalt und Missbrauch. Seit 1894 hatte die kanadische Regierung im ganzen Land ein Netzwerk sogenannter Indian Residential Schools aufgebaut und den Schulbetrieb der katholischen Kirche übertragen. Die Kinder der Ureinwohner sollten dort von ihrer Kultur und der eigenen Sprache isoliert und in die europäische Kultur assimiliert werden. Die letzte Schule wurde 1996 (!) geschlossen. Bis heute sind noch nicht alle Schicksale aufgeklärt.

Wir befinden uns wieder an der Bay of Fundy, die wir schon von der Nova Scotia-Seite her kennen. Diese Bucht hat den grössten Gezeitenunterschied der Welt, bis zu 14 Metern zwischen Ebbe und Flut. Besonders gut kann man das bei Hopewell Rocks mit eigenen Augen sehen: Was bei Flut wie kleine Inseln aussieht, entpuppt sich bei Ebbe als bewachsene Felssäulen und -formationen mit Grotten und Tunneln. Wegen des schlammig-braunen Wassers wird der Fluss auch Schokoladenfluss genannt. Ein wahres Naturspektakel!

Ganz in der Nähe liegt auch der Fundy National Park mit Küste, Salzmarschen, Sandstränden, Bergen (Caledonia Highlands), Tälern, Flüssen, Wasserfällen und 120 km Wanderwegen. Wir nehmen den Dickson Falls Trail mit dem Flüsschen Dickson Brook, der so typisch ist für den Park: Das Wasser ist kalt, glasklar und fliesst schnell durch unzählige Pools, Stromschnellen und über Wasserfälle. Auf den Felsen liegt dichtes Moos, Eichhörnchen springen überall herum und lassen sich von den Wanderern kaum stören.


Cape Hopewell - Fredericton

1. Oktober 2023


Um acht Uhr ist bei den Hopewell Rocks wieder Niedrigwasser. Wir fahren gleich nach dem Frühstück noch einmal hin - ich hoffe auf Sonne für die Felsen und bessere Fotos als gestern. Umsonst. Man  sieht die Sonne nur als helle Scheibe hinter einer hellgrauen Schicht aus Nebel und Wolken. Das reicht einfach nicht.

Wir bleiben an der Bay of Fundy und statten der ältesten Stadt Kanadas einen Besuch ab: Saint John. Die Stadt ist Wirtschaftsmetropole und besitzt den grössten kanadischen Hafen an der Ostküste. 1877 vernichtete ein Grossfeuer zwei Drittel der Stadt, die dann aus Backstein wieder aufgebaut wurde. Mit den modernen Bürogebäuden, den Backsteinbauten und den alten Holzhäusern ist eine harmonische Architektur entstanden. In Saint John befindet sich auch die älteste öffentliche Universität Nordamerikas. 

Unser Ziel ist jedoch die Hauptstadt von New Brunswick, Fredericton. Auf dem Weg dorthin zeigt sich in den Wäldern bereits die erste Laubverfärbung - der Indian Summer ist auf dem besten Weg!

Fredericton ist die drittgrösste Stadt der Provinz und liegt am Saint John River. Sie wartet mit einer Mischung aus historischen und modernen Gebäuden auf, viel Grün in Parks und baumbestandenen Strassen. Der Altstadtkern liegt am Fluss und dort steht auch der unvermeidliche Leuchtturm!


Fredericton - Grand Falls

2. Oktober 2023


Blutrot geht die Sonne über dem Saint John River auf. - Nach einem Erlebnis in Moncton tauschen wir unseren Mietwagen noch einmal. Uns wurde nämlich vom Hotelpersonal gesagt, wir dürfen nichts im  Auto liegen lassen, es hätte vor kurzem einen „Vorfall“ gegeben. Erst da ist uns bewusst geworden, dass unser Gepäck für jeden, der es darauf anlegt, sichtbar ist, da der Kofferraum keine Abdeckplane hat. Also auch, wenn wir wandern gehen und das Auto irgendwo auf einem unbewachten Parkplatz steht. Der Autovermieter zeigt Verständnis und jetzt fahren wir einen Cadillac XT5 400 4WD SUV, ohne Aufpreis - wir sind begeistert!

Beim Freiluftmuseum King‘s Landing hingegen haben wir Pech, jetzt in der Nachsaison ist die Anlage montags und dienstags geschlossen. Sie hätte uns nahebringen sollen, wie das Leben der Siedler vor 200 Jahren ausgesehen hat.

Die Fahrt immer am Saint John River entlang ist wunderschön, die Laubverfärbung schreitet schnell voran, kein Verkehr, wir können überall einfach anhalten. 

In Hartland fahren wir über die längste gedeckte Brücke der Welt, sie ist 390,75 Meter lang und führt über den Saint John River. Am Ufer haben sich einige Fotografen versammelt, die über das Weitwinkel-Objektiv diskutieren, das die Brücke in voller Länge aufnehmen kann.

In Grand Falls hat der Saint John River einen 1,5 km langen und 70 m tiefen Canyon in den Fels geschnitten. Und obwohl ein Staudamm und ein Kraftwerk gebaut wurden, rauscht ein tosender Wasserfall mitten durch die kleine Stadt.

New Brunswick ist übrigens die einzige kanadische Provinz, die offiziell zweisprachig ist: englisch und französisch. Deshalb sind alle Angaben auf Schildern und Hinweistafeln in beiden Sprachen angeschrieben.


New Brunswick - Québec

3. Oktober 2023


Grand Falls ist unsere letzte Station in New Brunswick. Unsere Bed&Breakfast-Unterkunft bei einer älteren Dame zeichnet sich durch spezielle Dekoration aus: Im ganzen Haus hängen gerahmte gestickte Kreuzstich-Bilder und überall sind Engel, sogar am Lichtschalter. 

Wir fahren durch traumhaft farbige Wälder nach Norden, an den Häusern und in den Gärten tauchen bereits die Dekorationen für Halloween und Thanksgiving auf.

Mit unserem Mittagsstopp in Campbellton verabschieden wir uns aus dieser Provinz. Eine Brücke noch und wir sind in Québec mit der Französisch sprechenden Bevölkerung. Aber die Dame an der Rezeption des Hotels packt uns zuliebe ihr rostiges Englisch aus.

Wir stellen unsere Uhr eine Stunde zurück und haben jetzt sechs Stunden Zeitdifferenz zu Mitteleuropa. Québec ist unsere Provinz Nummer fünf und wir sind unterwegs auf die Gaspé-Halbinsel. 

Carleton-sur-Mer ist der grösste Ort an der Südwestküste und ein typischer Touristenort mit Stränden und unendlich vielen Unterkunftsmöglichkeiten. Wir fahren noch hinauf auf den Mont Saint Joseph, von 0 auf 555 Meter ü.M. mit 32% Steigung in der Strasse - und werden mit einer Traumaussicht auf die Bucht, die Hügel und das Umland belohnt.


Carleton-sur-Mer - Percé

4. Oktober 2023


Weiter geht es nach Norden, immer an der Küste des Gulf of St. Lawrence, Sandstrände wechseln ab mit roten Klippen, Flüsse münden in den Golf, immer mit dem Hinweis „Fluss mit Lachsen“.

Für  unser eingetauschtes Auto haben wir zwar zwei Schlüssel erhalten, aber die sind beide mit einem Stahlband zusammengehängt. Also kann immer nur einer von uns den Schlüsselsatz bei sich haben, der andere hat keinen Zugriff auf das Fahrzeug. Wir halten an einer Autowerkstadt und bitten einen Mitarbeiter, das Stahlband aufzuschneiden, damit jeder einen eigenen Schlüssel hat. Nach kurzer Diskussion - schliesslich ist das ein Mietwagen - erbarmt er sich und uns ist damit enorm gedient.

Percé hat eine gigantische Sehenswürdigkeit, die gleichzeitig das Wahrzeichen der gesamten Gaspé-Halbinsel ist: den Rocher Percé (= Fels von Percé). In der letzten Kurve vor dem Ort bietet sich der fotogene Anblick von kleinen Häuschen auf den Klippen und dem aus dem Meer ragenden Felsklotz mit einem grossen Felsentor. Der Fels ist 438 m lang, 90 m breit und 88 m hoch und ist ganz von Kormoranen in Besitz genommen.

Ein Ausflugsboot umrundet nicht nur den Rocher Percé, sondern bringt uns auch zur Insel Île Bonaventure, auf der Seehunde und 110‘000 Basstölpel leben. Die Vögel sind sehr aktiv in der Luft und stürzen sich zum Fischfang senkrecht in die Fluten. In zwei Wochen werden sie zum Überwintern nach Florida ziehen, die Jungvögel üben hier schon mal den Formationsflug.


Percé - Matane

5. Oktober 2023


Wir haben die Gaspé-Halbinsel erst zur Hälfte umrundet und setzen die Reise fort. Erster Stopp ist die einzige grössere Stadt, Gaspé. Ein grosses, zehn Meter hohes Granitkreuz symbolisiert die  Landung Jacques Cartiers 1534 und die Inbesitznahme des Territoriums für den König von Frankreich. Ein Schild bestätigt den „Geburtsort Kanadas“.

Im Nationalpark Forillon kann man den hohen weissen Leuchtturm nicht übersehen. Man sollte meinen, wir hätten inzwischen genug Leuchttürme gesehen und fotografiert, aber wir suchen bewusst einen weiteren auf, abseits der Strecke, vier Kilometer über Schotter, durch dichten Wald: den Phare Pointe Renommée. Er ist einfach anders und deshalb besonders.

Wir sind fast überfordert mit der sensationellen Laubverfärbung, halten alle zehn Minuten für ein Foto und noch ein Foto … bis wir uns entschliessen, einfach die Fahrt und den Anblick von so viel Naturschönheit mit allen Sinnen zu geniessen. Und nicht nur durch die Linse.

Auch die Strecke selbst ist fantastisch: Die Strasse führt teilweise kurvenreich durch die bunten Berge, dann wieder flach am St. Lorenz-Fluss entlang, während landseitig steile Felswände aufragen. Der Fluss ist hier übrigens 100 km breit.

Wir erreichen Matane ziemlich erschöpft, nicht nur wegen der 400 km langen Strecke, sondern vor allem emotional wegen der unheimlich schönen Landschaft, der vielen einmaligen Eindrücke - man nennt das wohl Reizüberflutung …


Matane - Tadoussac

6. Oktober 2023


Die Fähre zur Nordseite des St. Lorenz-Flusses legt erst um 17:30 Uhr ab, deshalb haben wir noch genug Zeit, den Parc National du Bic zu besuchen. Es ist Ebbe, da zeigen sich viele nackte Felsen in  den Buchten, 300 Meter hohe Küstenberge, Kolonien von Robben und Seevögeln, wegen des Gezeitenunterschieds von fünf Metern durchziehen Priele die Wattlandschaft.

Da wir nicht so genau wissen, was uns ausser einsamer Wildnis auf der anderen Seite des Flusses erwartet, kaufen wir in Trois-Pistoles, dem Fährhafen auf unserer Seite, noch einmal ein, essen vorsichtshalber jeder eine Portion Jakobsmuscheln und Crevetten - und die Fähre nach Les Escoumins legt pünktlich ab. Während der Überfahrt produziert die Sonne einen sehenswerten Untergang über dem St. Lorenz-Fluss. 

Nur noch eine kurze Autofahrt und wir erreichen Tadoussac, das sich im Mündungsbereich des Fjords in eine Felsenbucht schmiegt. Das rote Dach unseres Hotels ist weithin sichtbar und dient auch als Wahrzeichen des kleinen Ortes.


Tadoussac

7. Oktober 2023


Wenn ich - noch im Bett des mondänen Hotels „Tadoussac“ liegend - so aus dem Fenster schaue und nur dunkelgrauen Himmel sehe, trüb das die Vorfreude auf den Tag schon etwas. 

Der Saguenay  Rivière fliesst bei Tadoussac in den St. Lorenz-Strom, der hier nur noch 16 km breit ist. Und das Mündungsgebiet ist ganzjährig Heimat von Belugawalen. Vom felsigen Ufer aus kann man gut beobachten, wie die hellen Buckel immer wieder an der Wasseroberfläche erscheinen.

In Ufernähe steht auch die Petite Chapelle de Tadoussac von 1547, die älteste Holzkirche Kanadas.

Trotz des Nieselregens bringen wir es mit unseren Spaziergängen auf insgesamt 10‘120 Schritte. Und klopfen uns dafür gegenseitig auf die Schulter.

Was uns auffällt, seit wir in Québec sind: Hier wird strikt in Französisch kommuniziert, mündlich und schriftlich. Die Info-Tafeln der Sehenswürdigkeiten waren in allen anderen Provinzen immer in Mi‘kmaq, Englisch und Französisch beschrieben, hier ausschliesslich in Französisch. Wir können zwar das Wesentliche herauslesen oder das Handy übersetzen lassen, aber besonders touristenfreundlich ist das nicht 🙁.


Tadoussac - Sainte-Rose-du-Nord

8. Oktober 2023


Wir müssen uns gar nicht so beeilen, um aus dem Bett zu kommen. Starkregen die ganze Nacht. Und jetzt auch noch Sturm.

Aber egal, wie schlecht das Wetter ist, die Landschaft und die Farben der Natur  faszinieren uns trotzdem. Wir fahren nach Norden, immer am Saguenay-Fjord entlang, bergauf und bergab, in langen geschwungenen Kurven, immer durch den so zauberhaft gefärbten Wald, ab und zu ein kleiner Fluss. 

Sainte-Rose-du-Nord ist ein kleiner Ort im nördlichen Teil des Fjords, mit einem ebenso kleinen Hafen und vielen Künstlern, die zum Teil mit der Kettensäge heimische Tiere aus Baumstämmen herausgearbeitet haben. 

Kurz nach Sainte-Rose-du-Nord geht es über eine 7 km lange Schotterstrasse in unsere Unterkunft (Holzhütten) mitten im Wald, hoch über dem Fjord, an traumhafter Lage … Wir sind am Cap à l‘Est des Saguenay-Fjords.

Übrigens ist der Saguenay-Fjord 105 km lang, zwischen 2 und 4 km breit und am tiefsten Punkt 270 m tief. Die Klippen erreichen eine Höhe von 350 m.


Sainte-Rose-du-Nord

9. Oktober 2023


Unsere Hütte steht wirklich im Nichts, mitten im Wald, 255 m über dem Wasser des Fjords. Wir wissen, dass unten am Ufer ein Leuchtturm steht und ein Wanderweg hinunterführt. Schwierigkeitsgrad:  mittel. Warum also nicht?

Wir werden schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt: Wander“weg“ ist der falsche Ausdruck für dieses Durcheinander an Felsen, Wurzeln, Steinen … und für Rainer mit seinen beidseitigen Knieschäden absolut kein Vergnügen. Aber Umkehren ist wie immer keine Option. Und zu allem Überfluss kommt man gar nicht richtig an den Leuchtturm heran! Na ja, nach drei Stunden sind wir wieder oben. Trotz allem Frust - die Landschaft begeistert!

Hier oben hoch über dem Saguenay-Fluss, der den Fjord bildet, gibt es noch unzählige Seen, die alle einen kürzeren oder längeren Spaziergang wert sind, wie den Lac Louise oder den Grand Lac St. Germains. Allerdings liegt viel Seeanstoss in Privatbesitz, so ist es nicht immer und überall möglich, ans Wasser zu gelangen.

Heute Abend müssen wir uns darauf vorbereiten, wieder in eine grössere Stadt zu kommen. Was gibt es in Québec zu sehen, was dürfen wir nicht verpassen - das bedeutet, Reiseführer lesen und im Internet recherchieren. Ausserdem: Viele Wege führen dorthin, welchen werden wir nehmen?


Sainte-Rose-du-Nord - Québec-City

10. Oktober 2023


Was Rainer bisher auf jede Reise mitgenommen hat, ist ausser Schuhputzzeug (was schon viele Lacher bei Motorradkollegen hervorgerufen hat) und eine Fliegenklatsche. Und die kam in unserer Holzhütte  im Wald nun wirklich vermehrt zum Einsatz. Denn wer kann bei Fliegengebrumme schon schlafen! Das muss einfach mal festgehalten werden.

Die erste Etappe heute ist wieder durch eine Traumlandschaft, durch ein Landschaftsschutzgebiet mit dem Namen „Parc des Grands-Jardins“. Der höchste Punkt der Strecke liegt bei 896 m ü.M. Und da breiten sich Wälder, Seen und das graue Band der Strasse malerisch unter uns aus.

Wir besuchen die kleine Künstlerstadt Baie-St.-Paul am St. Lawrence River, eine Galerie neben der anderen, bunte Häuschen, alles fein herausgeputzt und wir teilen uns die beliebteste Strasse mit japanischen Touristen, die aus drei Reisebussen quellen.

Kurz vor unserem Ziel noch ein Abstecher zum Wasserfall Montmorency, der 83 m zum St. Lawrence River hinabstürzt und damit noch 30 m mehr als die Niagara-Fälle. Eindrücklich und sehr geräuschvoll.

Und dann das Kontrastprogramm: Nach zwei Nächten in einer Hütte beziehen wir jetzt das Château Frontenac in Québec-City. Hier haben schon Queen Elizabeth II, Charles de Gaulle, Frank Sinatra und viele andere Berühmtheiten genächtigt. Im Mai 1943 trafen sich Churchill und Roosevelt in diesem Haus, um die Invasion in der Normandie vorzubereiten.

Wir machen uns gleich auf den Weg, um die nähere Umgebung zu erkunden - da fängt es an zu regnen.


Québec

11. Oktober 2023


Wir verzichten auf das 38 Dollar (pro Person) teure Frühstück in unserem Luxushotel und kochen uns den Kaffee selber (schliesslich haben wir auch einen kleinen Wasserkocher und Nescafé im Gepäck).  Bevor es wieder anfängt zu regnen, fahren wir mit der Standseilbahn von 1879 hinunter in die Unterstadt. Es ist die einzige Bahn dieser Art in ganz Nordamerika, die noch in Betrieb ist.

Für ein Foto von Québecs „Skyline“ fahren wir mit der Fähre über den St. Lawrence River nach Lévis und gleich wieder zurück. Und bummeln dann gemütlich durch das Quartier du Petit-Champlain und die engen romantischen Gassen des Altstadtviertels mit Kunstwerkstätten, kleinen Galerien, Ateliers, Cafés …

Es fängt wieder an zu regnen und wir ersparen uns den langen, ermüdenden Treppenweg zurück in die Haute-Ville (Oberstadt), wo unser Hotel liegt - wir nehmen wieder die Standseilbahn. Das Château Frontenac dominiert nicht nur die Oberstadt, sondern überragt die gesamte Skyline.

Da auch am Nachmittag keine Regenpause in Sicht ist, bummeln wir eben bei Nieselregen durch die Haute-Ville mit alter Architektur, Geschäften, Restaurants und Cafés. Hier oben befinden sich auch das Rathaus und das Parlamentsgebäude.


Québec - Lac-à-l’Eau-Claire

12. Oktober 2023


Für die nächsten drei Tage geht es wieder in die Wildnis, inmitten endlosen Wäldern und Seen. Unser See heisst so schön poetisch „See mit dem klaren Wasser“; er liegt etwas nördlich von  Trois-Rivières.

Das bedeutet vor allem Wandern, Schwimmen, Saunieren, Lesen … unsere Herberge ist gut ausgerüstet und bietet alle Möglichkeiten für Wassersportarten (Kajaks, Ruderboote). 

Mein Hauptaugenmerk liegt heute mal nicht in den Herbstfarben der Bäume, sondern im ständig wechselnden Himmel: mal blau, mal grau, mal fast schwarz, mit Wolken, ohne Wolken, mal regnet es, mal giesst es - es gleicht einer Achterbahnfahrt …


Lac-à-l’Eau-Claire

13. Oktober 2023


Wir haben einen Plan mit möglichen Trails für Wanderungen erhalten und nehmen den Weg zum Lac Ford und einem Aussichtspunkt in Angriff. Leider hat der viele Regen aus dem Wald einen ziemlichen Sumpf gemacht, wir versinken zum Teil im Matsch, rutschen auf dem nassen Laub aus oder stolpern über Wurzeln, die sich unter dem Laub verbergen. Wir schaffen zwar die ganze Strecke, aber so richtig Spass macht das nicht.

Da wir einige Drogerie-Artikel nötig haben, fahren wir die 12 km nach St.-Alexis-des-Monts, die einzige grössere Ortschaft in der Nähe, mit knapp 3‘000 Einwohnern. Ausser einer Kirche und diversen Bistros hat der Ort nichts zu bieten, aber wir finden zumindest eine Drogerie. Wir befinden uns in den Laurentian Mountains mit ungefähr 600 grösseren und kleineren Seen. 

Rainer nutzt die Sauna, das Eisbad, den Whirlpool … und ich vertiefe mich in ein Buch! Einfach ausspannen tut auch mal gut.


Lac-à-l’Eau-Claire

14. Oktober 2023


Für Rainer sind diese drei Tage am See WWW = Wellness, Waldeinsamkeit, Wasser, für mich eher Wald, Wasser, Wandern. Und obwohl wir seit gestern wissen, wie die „Wanderwege“ hier beschaffen sind,  nehmen wir uns den Trail zu einem Wasserfall vor.

Es geht wie erwartet los: alles naturbelassen mit Wurzeln, Steinen, Pfützen, Matsch, Gestrüpp. An jedem zweiten Baum dient ein roter Pfeil als Richtungsweiser, sonst ist man verloren. Die Strecke ist eigentlich wildromantisch, der Fluss neben uns tost ohrenbetäubend durch Stromschnellen und Katarakte und stürzt am Ende tatsächlich als Wasserfall in die (nicht sehr hohe) Tiefe. Aber wir laufen immer mit gesenktem Kopf, denn ein Fehltritt führt zum Ausrutscher, Sturz oder in den Sumpf.

Vermutlich, weil heute Samstag ist und viele Wochenendgäste hier sind, sehen wir vermehrt Wasserflugzeuge in der Luft und auch auf unserem See. Diese Gegend bietet sich ja geradezu an dafür.


Lac-à-l’Eau-Claire - Montréal

15. Oktober 2023


Zum Frühstück noch geruhsam in der Wildnis, mittags bereits im Trubel einer Grossstadt mit 1.6 Millionen Einwohnern - wir sind in Montréal. 

Die zweitgrösste Stadt Kanadas liegt auf einer Insel  im St. Lawrence River, oberirdisch die Altstadt und die modernen Bürotürme, unterirdisch (Ville Souterraine) und weit verzweigt mit 33 km die längste überdachte Einkaufsstrasse der Welt mit Shopping-, Einkehr- und Unterhaltungsmöglichkeiten.

Wir steigen hinauf auf den Hausberg von Montréal (233 m), den Mont-Royal, der auch Namensgeber für die Stadt ist. Vor dem riesigen Parc du Mont-Royal breitet sich das Panorama der Metropole aus. Eine Treppe führt wieder hinunter in die Stadt.

Auf dem Place Jacques-Cartier spielt sich das touristische Leben ab, Strassenmusikanten, Maler, Karikaturisten und viele Restaurants sorgen für Atmosphäre. Hier steht auch das Rathaus und der Kuppelbau Marché Bonsecours mit seinen Boutiquen für Kunst, Bekleidung und Schmuck.

Da wir nun schon zehn Kilometer Laufstrecke in den Beinen haben, rufen wir uns einen Uber-Fahrer, der uns zum Hotel zurückbringt. Wir benutzen zum ersten Mal diesen Fahrdienst, sind überzeugt von dem Angebot - und gleichzeitig fahren wir zum ersten Mal in einem Tesla (überzeugt uns weniger).


Montréal

16. Oktober 2023


Gestern Nachmittag wurde uns die Tür zur Basilika Notre-Dame, dem Herzstück von Alt-Montréal, regelrecht vor der Nase zugeschlagen, deshalb führt uns der Weg heute Morgen direkt dorthin. An der  Kasse wartet bereits eine Menschenschlange auf Einlass. Die neugotische Kirche wurde 1824-29 erbaut und schon der erste Blick hinein fasziniert und erzeugt Ehrfurcht: Der Innenraum ist ganz aus Holz, bemalt, mit vielen Schnitzereien und mit Blattgold verziert. Der Altarraum leuchtet fast dramatisch in Blau. Die Orgel von 1891 besteht aus 7‘000 Pfeifen in der Grösse zwischen 9.75 m und 6.35 mm.

Und dann erkunden wir die Altstadt und die Gegend um den alten Hafen, der wie so viele andere zur Kultur- und Freizeitmeile umgestaltet worden ist. Samt Riesenrad und Riesenbuchstaben „Je t‘aime Montréal“. Am Ende sind wir insgesamt 13 km gelaufen …


Montréal - Ottawa (Provinz Ontario)

17. Oktober 2023


Wir sind richtig froh, wieder aus der Grossstadt mit dem Verkehr, den Umleitungen, Baustellen, Schulbussen, Monster-LKWs herauszukommen und statt dessen stressfrei durch die schöne farbige Landschaft  zu fahren.

Da wir bisher entgegen allen Erwartungen keine Elche oder Karibus gesehen haben und nur einen Schwarzbären kurz am Strassenrand, besuchen wir den Omega-Park, einen Wildpark mit vielen einheimischen Tieren, die man hier in ihrem heimischen Umfeld vom Auto aus sehen kann. Und wir werden nicht enttäuscht. Die Karibus kommen zum Auto, stecken den Kopf durchs Fenster und lassen sich mit Karotten füttern. Wenn das Fenster geschlossen ist, besabbern sie es so sehr, dass man auch nicht mehr durch die Scheibe fotografieren kann. Und um ehrlich zu sein: Das Foto vom Elch ist von Adobe Stock, da sich unsere drei gesichteten Elche hinter Maschendraht und Blättern nicht besonders fotogen präsentierten.

Die Fahrt verläuft weiter entlang des Ottawa-Flusses. In Gatineau, noch auf der Québecer Seite des Flusses, haben wir einen hervorragenden Blick auf Ottawa und den Parlamentshügel.

Ottawa liegt in Ontario und ist Kanadas Hauptstadt. Sie teilt sich die Regierungsaufgaben mit Gatineau/Québec. Trotz multikultureller Vielfalt hat die Stadt einen liebenswerten Charakter, da sie weitgehend frei von industrieller Ansiedlung geblieben ist - der grösste Arbeitgeber ist die Regierung der Landeshauptstadt.


Ottawa

18. Oktober 2023


Sightseeingtag. Unser Hotel liegt sehr zentral, gleich beim Parlamentshügel mit den Regierungsgebäuden, dem Senat, House of Commens, Justizpalast. Alles inmitten von Baustellen, umgeben von grünen  Parks, in denen gerade am dritten Tag in Folge 30‘000 Tulpenzwiebeln gesetzt werden. Die Tulpen werden jedes Jahr zum grössten Teil von der Königsfamilie in den Niederlanden geschickt, als Dank für die Exilgewährung während des Zweiten Weltkriegs.

Gleich unterhalb des Parlamentshügels mündet der Rideau-Kanal in den Ottawa, die letzten acht der total 47 Schleusen gleichen hier in der Stadt die letzten 23 Meter Höhendifferenz aus. Britische Militäringenieure bauten den 202 km langen Kanal, um Güter schneller und vor allem geschützter vor amerikanischen Übergriffen zu transportieren. Er wurde 1832 eröffnet, ist die älteste ununterbrochen benutzte künstliche Wasserstrasse in Nordamerika und steht seit 2007 auf der UNESCO-Welterbeliste. Im Winter ist er die längste Eisbahn der Welt.

Nicht weit entfernt vom Kanal mündet der Rideau River mit einem elf Meter hohen Wasserfall ebenfalls in den Ottawa.

Bei der National Gallery sehen wir eine alte Bekannte, die überdimensionale Spinne von Louise Bourgeois - in Bilbao vor dem Guggenheim-Museum steht auch so ein Exemplar.

Der ByWard Market ist ein traditioneller Bauernmarkt, das Viertel drum herum hat sich zu einem populären Restaurant- und Kneipenviertel entwickelt, auch Trendshops und Boutiquen haben hier ihren Platz gefunden. Es herrscht ein bunter Trubel.

Die Stadt hat unzählige Kriegsdenkmäler, bei einem findet gerade die Wachablösung mit einem Dudelsackpfeifer statt.

Wir sind erleichtert, dass wieder hauptsächlich Englisch gesprochen wird und alle Hinweise, Schilder und Beschreibungen zwei- oder sogar dreisprachig sind, aus Respekt gegenüber der indigenen Bevölkerung.


Ottawa - Huntsville

19. Oktober 2023


Es ist gar nicht so einfach, aus Ottawa wieder herauszukommen: Baustellen, Umleitungen, Sperrungen, falsch Abbiegen, die nächste Baustelle … wir kurven 50 Minuten im Kreis. Das Navi akzeptiert  keinen Richtungswechsel und schickt uns wieder über dieselbe (gesperrte) Brücke - also alles noch einmal von vorne.

Wie ist das doch erholsam, entspannt mit 80 h/km (Tempolimit) durch schöne Wälder zu fahren, über Seen zu blicken und sich einfach an der Landschaft zu erfreuen. Und schön ist er, der Algonquin Provincial Park. Obwohl der Schneefall Anfang Oktober und der anschliessende Sturm schon sehr viel Laub von den Bäumen geweht hat, ist noch genügend Farbe zu sehen.

Unsere Unterkunft liegt im Hidden Valley, rund ums Haus stehen Skilifte, Schneekanonen und Beschneiungsanlagen, die Kanus werden langsam aus dem Wasser geholt und zum Überwintern eingelagert. Die Hälfte der Campingplätze im Park ist bereits geschlossen, aber wandern kann man immer noch!


Huntsville

20. Oktober 2023


Aus den Wanderungen wird heute wohl nichts - es regnet. Und die Vorhersage für den ganzen Tag lautet: 100% Regenwahrscheinlichkeit. Das ist eindeutig. Über Stock und Stein bei Matsch und rutschigem  Laub hatten wir schon ein paar Mal.

Huntsville ist ein netter kleiner, sauberer, „aufgeräumter“ Ort. Die lokale Künstlergruppe „Group of Seven“ hat mit ihren Murials (Wandbildern) eine Outdoor-Galerie geschaffen, deren Werke an vielen Gebäuden der Stadt zu sehen sind. 

Wir sind nun seit acht Wochen unterwegs, da kann man ja auch mal zum Frisör gehen. Wir finden einen Salon, der uns beide ohne Termin hintereinander annimmt.

Das hiesige Brauhaus wirbt aufwändig für sein Oktoberfest, mit blauweissen Wimpeln, also essen wir unseren Lunch dort. Brauhäuser haben immer eine entspannte, gemütliche Atmosphäre.

Eine Kurzwanderung können wir uns trotz Regens nicht verkneifen: Oberhalb von Huntsville liegt der Lion‘s Lookout, der noch einmal eine tolle Aussicht über die umliegenden Wälder und Seen bietet - das Herbstlaub leuchtet trotz der Feuchtigkeit!


Huntsville - Killarney

21. Oktober 2023


Schreck in der Morgenstunde! Am kommenden Montag wollten wir über verschiedene Inseln und mit einer Fähre durch den Huronensee fahren. Zum grossen Glück wollte ich die Abfahrtszeiten abrufen und  muss nun feststellen, dass der Fährbetrieb für diese Saison eingestellt wurde. Am 15. Oktober. Also Planänderung, Hotel stornieren, neue Route suchen, Hotel buchen.

Wie geplant, fahren wir aber heute nach Killarney in eine abgeschiedene Mountain Lodge, direkt am Ufer der Georgian Bay, einem Nebenarm des Lake Huron. Rote Granitfelsen charakterisieren die Gegend um die Hotelanlage, die ansprechend in die natürliche Landschaft eingebettet liegt. Ein wohltuender Ort zum Verweilen und Wandern. Die Kajaks wurden für dieses Jahr bereits eingelagert. Gleich am Eingang steht ein Inukshuk, das Steinmännchen der Inuit, Wegweiser und Willkommensgruss zugleich.

Der Killarney Provincial Park gilt als Ontarios Kronjuwel. Er wurde 1964 von dem Maler A. Y. Jackson, einem der Group of Seven, initiiert, der bei den herrlichen Ausblicken seine Inspiration gefunden hatte. Inzwischen ist der Park bei vielen Landschaftsmalern und -fotografen sehr beliebt.

2018 erhielt der Park von der Royal Astronomical Society of Canada den Titel „Dark Sky Preserve“, da es keinerlei Lichtverschmutzung gibt und er sich hervorragend für die Beobachtung des Nachthimmels eignet. Seit 2010 gibt es hier ein öffentliches Observatorium.


Killarney

22. Oktober 2023


Schon vor Wochen hat uns die Hotelleitung informiert, dass heute zwischen 08:00 und 18:00 Uhr der Strom abgeschaltet wird. Umbuchen wollten wir nicht. Das bedeutet: Wecker auf 06:30 stellen und die  Heizung noch einmal voll laufen lassen. Und um 07:45 Uhr den Wasserkocher anstellen, damit wir uns noch den Frühstückskaffee kochen können. Handys und Tablets haben über Nacht geladen - wir sind also gewappnet. Übrigens röhrt vor jedem Privathaus heute ein kleiner Generator. 

Es ist sehr kalt, aber die Sonne scheint und wir machen uns auf den Weg zum Leuchtturm (schon wieder mal). Die Küste besteht fast nur aus Granitfelsen, manche liegen flach im Wasser, andere bilden Klippen, sie glänzen in der Sonne rosafarben.

Dann lockt uns noch der Granite Ridge Trail, der zu einem Aussichtspunkt führt und einen tollen Blick über den Provincial Park erlaubt. Mit diesen beiden Wanderungen haben wir unser Bewegungssoll locker erfüllt (15‘305 Schritte bzw. 11.2 km).

Wir treffen auf dem Lodge-Gelände einen First Nations-Indianer vom Stamm der Ojibwe, er ist sehr gesprächig, erzählt von seinem Leben und dass er während der Saison mit Touristen zum Fischen fährt. Und wir stellen fest, dass er wie Rainer am 24. Mai 1947 geboren ist. Zufälle gibt es …

Auf einer windgeschützten Terrasse der Mountain Lodge geniessen wir endlich mal die Sonne!


Killarney - Midland

23. Oktober 2023


Drei Blicke aus dem Fenster: Nach oben - Himmel blau, nach unten - Raureif auf dem Rasen vor der Hütte, nach rechts - Auto befroren. Wir sind fast die letzten Gäste in der Mountain Lodge, man  bereitet sich auf die Schliessung vor. Und wir uns auf die Abreise.

Die 70-Kilometer-Fahrt zur Hauptstrasse ist heute besonders schön: Die vielen spiegelglatten Seen neben der Fahrbahn reflektieren die Bäume, Büsche und Hütten. Wir kommen nur langsam voran, halten immer wieder an und können uns nicht sattsehen. Auch wenn die Bäume kaum noch Laub haben, bietet das Nadelgehölz reizvolle Kontraste.

Je weiter wir nach Süden kommen, desto mehr farbiges Laub hängt noch an den Bäumen und die Temperatur steigt auf angenehme Herbstwärme.

Wir machen einen Abstecher nach Sainte-Marie among the Hurons. Die frühere französische Jesuitenmission (1639) bot damals den Huronen Schutz, bis nach einem Überfall durch die Irokesen diese und vier Jesuiten niedergemetzelt und die Missionsgebäude in Brand gesteckt wurden. An dieser Stelle entstand ein „lebendes Museum“, in dem Laien versuchen, durch Kleidung und Raumausstattung sowie Darbietungen einen Eindruck vom Leben in einer Missionsstation des 17. Jh. zu vermitteln.

Gleich nebenan liegt das Wye Marsh-Feuchtgebiet, in dem wir einen Spaziergang durch Schilf und Wald unternehmen.

Die Stadt Midland an der Georgian Bay überrascht uns angenehm. Eine gepflegte Stadt mit alten Häusern und sehr vielen Murals. Und freundlichen Bewohnern, die auf unsere Bitte hin sogar ihr Auto lachend umparken, damit es unser Foto vom Wandbild nicht stört. Weniger erfreulich ist der Ausflug ins Boathouse zum Essen. Rainer bestellt Chicken Wings - es kommt ein Teller mit einem dunkelbraunen Knäuel: die Hühnerflügel zusammengedrückt zu einem Riesenknödel und mit dicker, dunkler, klebriger Sauce überzogen. In Rainers Gesicht steht das blanke Entsetzen … Wir können vor Lachen kaum essen.


Midland - Niagara-on-the-Lake

24. Oktober 2023


Je weiter wir nach Süden kommen, desto wärmer wird es. Die Hochhäuser von Toronto tauchen auf, wir machen heute aber noch einen grossen Bogen um die Stadt. Den Verkehr sind wir gar nicht mehr  gewöhnt - vor allem behagt es uns nicht, rechts und links von riesigen LKWs überholt zu werden. Aber das ist in Kanada erlaubt.

Da für morgen die Wettervorhersage nicht so gut ist, fahren wir direkt nach Niagara Falls. Geplant war das eigentlich erst für morgen. Jetzt scheint noch die Sonne und die Temperatur ist auf 21 Grad gestiegen. 

Die Niagara-Fälle heissen hier in Kanada Horseshoe Falls oder Canadian Falls und sind 675 m breit und 52 m hoch, auf der USA-Seite nur 328 m breit, aber 56 m hoch. Es handelt sich nicht um einen, sondern um drei Wasserfälle. Ihr lautes Getöse hört man schon lange, bevor man sie sieht. Man kann hier auf der kanadischen Seite die ganze Zeit am Ufer des Niagara-Flusses entlanglaufen und sich an den Wassermassen, der Gischt, den Regenbogen und den Touristenbooten ungehindert sattsehen.

Den besten Panoramablick bietet die Aussichtsplattform des Skylon Towers auf 240 m über dem Wasser. Da die Hauptsaison schon vorbei ist, haben wir kein Problem mit einem Parkplatz und auch keine Wartezeit am Lift zum Skylon Tower.

Unser Übernachtungsort ist das noble Prince of Wales Hotel in Niagara-on-the-Lake, einem zauberhaften, Englisch anmutenden Städtchen, für das wir morgen noch Zeit haben.


Niagara-on-the-Lake

25. Oktober 2023


Gemäss Reiseführer gehört Niagara-on-the-Lake zu den schönsten kleinen Orten Ontarios: hübsche Parks mit vielen Picknicktischen und -bänken, alte Villen in von Bäumen gesäumten Strassen,  elegante Geschäfte und gute Restaurants in historischen Gebäuden. Man kann sich auch mit einer Pferdekutsche durch den Ort fahren lassen.

Es macht einfach Spass durch die Strassen zu laufen, überall stehen Sitzbänke, es herrscht keine Hektik, der Blick nach oben durch die bunten Baumkronen ist frei, kein Hochhaus gibt einem das Gefühl erdrückt zu werden. Hier könnten wir leben …

Einst war die Haupteinnahmequelle der Stadt der Schiffsbau, heute sind dies der Tourismus und der Weinanbau. Die Stadt ist weit genug von den Wasserfällen entfernt (25 km), um von dem hässlichen Kommerz verschont zu bleiben, aber nah genug, um jederzeit hinfahren zu können.


Niagara-on-the-Lake - Toronto

26. Oktober 2023


Im Foyer des Prince of Wales-Hotels wird gerade mit dem Schmücken eines grossen Weihnachtsbaums begonnen, Schachteln und Säcke mit weihnachtlichem Deko-Material liegen herum und vier Personen stehen etwas ratlos davor.

Immer am Ontario-See entlang, geht es zu unserem letzten Ziel auf dieser Reise - Toronto. Vorbei an Obstplantagen, Weingütern, einer Haselnussfarm, im leichten Regen, trotzdem entspannt und ein bisschen wehmütig. Niagara-on-the-Lake hat uns wirklich gut gefallen.

Schlagartig ist es mit der Gemütlichkeit vorbei und bei stärkerem Regen mit viel Gischt von den Fahrzeugen tauchen wir ein in die Hochhaus-Schluchten und den schnellen Verkehr von Downtown Toronto. Auch das Zurechtfinden in dem riesigen Hotel ist eine Herausforderung, aber wir wollen schliesslich so zentral wie möglich wohnen.

Nachdem wir zu Fuss erste Erkundungsrunden gedreht haben, langsam die Dämmerung hereinbricht und in den Hochhäusern die Lichter angehen, haben wir mit Toronto unseren Frieden geschlossen.

Toronto mit knapp drei Millionen Einwohnern ist die grösste Stadt Kanadas, die Hauptstadt von Ontario und Wirtschaftszentrum des Landes. Nach New York besitzt Toronto die zweithöchste Anzahl an Hochhäusern auf dem nordamerikanischen Kontinent. Höchstes freistehendes Bauwerk des amerikanischen Kontinents und Wahrzeichen der Stadt ist der Canadian National Tower, kurz CN Tower, mit 553 m.


Toronto

27. Oktober 2023


Nach so viel Zeit in der Wildnis und der Natur ist eine Nacht mitten in einer Millionenstadt eine Herausforderung. Die ganze Nacht rauscht der Verkehr und heulen irgendwo Sirenen. Und pünktlich um  sechs Uhr morgens wird auf der Grossbaustelle nebenan aber auch jedes Grossgerät angeschmissen und klopft, röhrt, hämmert … Wir wohnen im 23. Stock, der Lärm wird ganz wunderbar zu uns nach oben getragen.

Um einen Überblick über alles Sehenswerte zu erhalten, nehmen wir einen Hop-on-Hop-off-Bus, der uns zwei Stunden durch Toronto fährt. Dabei erfahren wir so nebenbei, dass wir im grössten Hotel Kanadas übernachten, mit einer Bettenzahl von 1‘590 - kein Wunder, dass wir uns kaum zurechtfinden.

Es mangelt nicht an Superlativen: das älteste Feuerwehrhaus, die in einem historischen Gebäude untergebrachte feudale McDonalds-Filiale, die Markthalle von 1805, der höchste Büroturm - und die längste Strasse der Welt (Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde): Die Yonge Street ist eine Hauptverkehrsader in Toronto und endet nach 1‘896 Kilometern als Provinzstrasse im Norden Kanadas. Unnötiges Wissen, aber witzig!

Der Nachmittag gehört der Kunst, wir besuchen die Art Gallery of Ontario mit vielen einheimischen Kunstschaffenden und finden dort auch die uns schon bekannte Künstlergruppe Group of Seven. Ausserdem Sonderausstellungen über die Arbeiten des Fotografen Arnold Newman und die Figuren und Werke des jungen amerikanischen Künstlers KAWS (Brian Donelly).

Wir merken auch, dass die Infrastruktur trotz der vielen glänzenden Hochhäuser sehr im Argen liegt. Unter manchen Brücken möchte man gar nicht mehr durchlaufen, man schafft kaum hundert Meter ohne eine Baustelle, einen Bauzaun, eine Absperrung, eine Umleitung.


Toronto

28. Oktober 2023


Feueralarm kurz nach Mitternacht! Und wir im 23. Stock! Schuhe an, Jacke an, Ausweis, Kreditkarte und Telefon einstecken und raus aus dem Zimmer zum nächsten Emergency Exit - dem Treppenhaus. Rainer  ist wegen dem Zustand seiner beiden Knie gar nicht gut im Treppenlaufen und schnell geht gleich gar nicht. Ein Albtraum.

Eine Feuerwehr steht schon vor dem Haus, die zweite mit Sirenen auch gleich. Nach fünfzehn Minuten auf der Strasse dürfen wir wieder ins Haus und auch die Lifte benutzen. Über die Treppe hätte Rainer das nicht mehr geschafft. 

Nach dem Frühstück bitte ich um ein anderes Zimmer, denn das Hotel muss ja die Sicherheit der Gäste garantieren und eine Evakuierung im Notfall aus dem 23. Stock zu Fuss ist bei uns nicht möglich. Jetzt wohnen wir im 4. Stock …

Jeder Reiseführer erzählt uns, dass man nicht in Toronto war, wenn man nicht auf dem CN-Tower gewesen ist. Die Aussichtsplattform befindet sich auf 346 Metern, in 58 Sekunden sind wir oben - und es ist einfach fantastisch: höher als alle Hochhäuser und der Blick in die Weite, mit viel mehr Grünfläche als erwartet und niedriger Bebauung. Beeindruckend.

Der Weg zum und vom CN-Tower führt unter der Union Station hindurch und die Unterführung hat eine aussergewöhnliche Mauerbemalung: 28 Porträts indigener Führer und Ältester der Toronter Gemeinschaft sind hier abgebildet „gegen das Vergessen“, ausgeführt von einem Halbindigenen mit Hilfe von jungen indigenen Künstlern.

Wir machen noch einen ausgedehnten Spaziergang zum Distillery Historic District, einer Fußgängerzone mit Backsteingebäuden aus dem 19. Jahrhundert, in denen sich einst eine große Whiskey-Brennerei befand. Heute befinden sich hier angesagte Restaurants, gemütliche Bars, Boutiquen und Galerien.


Toronto

29. Oktober 2023


Es ist eiskalt in unserem neuen Hotelzimmer im 4. Stock. Bei einem Anruf an der Rezeption mit der Bitte, die Heizung anzustellen, kommt die Antwort, dass unser Zimmer nicht an das Heizsystem  angeschlossen ist. Wo gibt es denn so etwas in einem Viersternehotel?! Wir erhalten stattdessen ein tragbares Heizgerät. 

Bei nur 7 Grad überlegt man sich, wo man am besten spazieren geht und Sightseeing betreibt. Es gibt in Toronto ein zehn Kilometer langes durchgehendes Wegenetz, das bei Wind und Wetter schützt: meist unterirdisch bei den U-Bahn-Haltestellen oder auf glasumschlossenen Übergängen zwischen oberen Stockwerken der Strassenblocks. So gelangt man trockenen Fusses zu den Geschäften, Kaufhäusern und Hotels des Zentrums.

Wir bewegen uns für einmal weg vom Zentrum, schlendern durch China Town und gelangen zum Kensington Market, einem quirligen und bunten Stadtviertel. Ein echtes Kontrastprogramm zu Downtown und den Glastürmen: einfache Strassenstände und ein heilloses Durcheinander an multikultureller Händlergemeinschaft, internationaler Besucherschar und einem vielfältigen Angebot. Es gibt zu essen, zu trinken, zu kaufen, zu bestaunen, Wunderbares und Abstossendes, Seltenes und Gewöhnliches, Kunstgewerbliches und eher Flohmarkttaugliches. Und alles zwischen den viktorianischen Häusern an den baumgesäumten Strassen. Hier wohnen vor allem Familien und Studenten.


Toronto

30. Oktober 2023


Letzter Tag in Toronto. 

Wir haben kein Programm mehr, sind beschäftigt mit Packen und Überlegungen, was wir nicht mit nach Hause nehmen wollen und hier im Hotel lassen, wie die Müesli-Schalen  (für unser Selfmade-Frühstück) oder die Porzellan-Kaffeebecher (wir trinken nicht gern aus Plastik- oder Pappbechern, die in den Hotels oftmals in den Zimmern zur Verfügung gestellt werden).

Gegen Mittag sind wir abreisebereit und finden in der riesigen Tiefgarage sogar unser Auto wieder. Der Cadillac XT5 hat uns viel Freude gemacht - wir hätten diese Kategorie nie gebucht, aber weil beim Fahrzeugtausch kein anderes Auto zur Verfügung stand, erhielten wir ein unfreiwilliges Upgrade vom Vermieter.

Gemäss Tachometer der beiden Fahrzeuge sind wir auf dieser Reise seit der Landung in Halifax am 26. August insgesamt 7‘932 km gefahren.

Wir warten nun entspannt auf unseren Abflug und hoffen, dass wir nicht wieder von Flugausfällen oder anderen unglücklichen Vorkommnissen betroffen sind wie am Anfang unserer Reise.


Männedorf

31. Oktober 2023


Ein ruhiger Nachtflug von Toronto nach Frankfurt, stressfreies Umsteigen und kurzer Flug nach Zürich - Torben erwartet uns bereits und bringt uns zurück nach Männedorf.


Rückblickend fühlten wir uns im dünnbesiedelten Neufundland besonders wohl. Die Menschen waren sehr freundlich und kontaktfreudig. Man sprach uns an, liess sich auf ein Gespräch ein und zeigte sich interessiert am Woher und Wohin. In jedem Laden, in jedem Restaurant und Hotel fühlten wir uns willkommen. Keine Hektik, total entspannt. Die weitläufige Landschaft mit Bäumen, Wiesen, Wald und das viele Wasser, Seen und Meere mit Buchten, Fjorden, Felsen und Stränden nahm uns gefangen. Uns hat richtig die Lust zum Wiederkommen gepackt. Vom Spätfrühling bis Anfang Juli ist hier auch die Zeit der vorbeischwimmenden Eisberge und Wale. Auf einem der bunten Stühle vor dem Hotel oder der Wohnung zu sitzen und einfach zuzuschauen - das wäre doch etwas! Wo? - In Twillingate, einer richtigen Wohlfühloase! 


Überrascht waren wir von den hohen Preisen und der ungewohnten Auszeichnung: Sowohl in Restaurants als auch in Geschäften sind Netto-Preise angeschrieben. An der Kasse kommen dann noch 15% Steuern dazu, in Restaurants und bei Dienstleistern (Frisör etc.) zusätzlich in fast aggressiver Art die Trinkgeld-Forderung zwischen 15%, 20% und 25%, oft sogar abgestuft ab 18%, 25% und 30%.

Fazit: Kanada ist toll!

 
 

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