Das Projekt Vicky III

Donnerstag, 2. Mai 2019

 


Drei Herren (Ü70) unterwegs entlang Deutschlands Aussengrenze


Im August 2018 spricht Rainers Freund Peter von seinem Traum, mit einem Oldtimer-Moped um die deutsche Aussengrenze zu fahren. In seinem Keller lagern jede Menge Kisten mit Einzelteilen ehemaliger Victoria Vicky III, Baujahr 1955, 1.75 PS, 50 ccm, die er zu diesem Zweck zusammenzubauen gedenkt.


Rainer bietet sich spontan als Reisegefährte an und ich als Fahrerin für das Begleitfahrzeug. Schliesslich ist auf dem Moped kein Platz für Gepäck, Ersatzteile, Werkzeuge ... Wir sind sofort Feuer und Flamme.


Und Peter fängt an zu schrauben, zu recherchieren, nach Originalteilen zu suchen und sie zu beschaffen. Gleich nach unserer Indien-Reise beginnt auch Rainer sich intensiv mit dem Projekt zu beschäftigen, plant Routen, errechnet Distanzen und Zeitbedarf. Und Peter schraubt. Inzwischen gesellt sich auch Ingo zum Abenteurer-Team und das Ganze nimmt Gestalt an. Und Peter schraubt. Schliesslich müssen die Vickys für ungefähr 5‘000 km fit sein!


Als Starttermin wird Mitte Mai festgelegt - wir freuen uns auf die Gelegenheit, nach unseren Reisen in der ganzen Welt auch Deutschland noch besser kennen zu lernen, auf eine langsamere Art und Weise - entschleunigt sozusagen. Die Aufmerksamkeit der Bevölkerung wird den Moped-Fahrern gewiss sein, Rainer hat bei seiner Testfahrt bereits die Erfahrung mit Neugierigen gemacht, die sich um sein „Töffli“ geschart haben.


Fortschritt

Samstag, 11. Mai 2019


Peter meldet die Fertigstellung aller drei Vickys, siehe oben. Die Mopeds warten nur noch darauf, endlich auf Tour zu gehen.


Rainer verfeinert die Routenplanung, testet erfolgreich sein neues Fahrrad-Navi auf allerkleinsten Strassen - er hat auch die Programmierung der Streckenführung fest im Griff.


Im Kofferraum unseres Autos liegt ein zusammenklappbarer Fahrradträger für alle Fälle; so eine Vicky wiegt nur 33 kg, im Notfall können also zwei Moped transportiert werden.


Wir sind gerüstet, die Spannung und Vorfreude steigt von Tag zu Tag.

Start in Schenefeld/Hamburg: Montag, 20. Mai.


Letzte Vorbereitungen

Sonntag, 19. Mai 2019


Nachdem wir die letzten zwei Tage mit Freunden, Verwandten und alten Klassenkameraden in Gettorf/Schleswig-Holstein ausgiebig gefeiert, gegessen und uns ausgetauscht haben, reisen wir heute nach Schenefeld bei Hamburg, um die letzten Vorbereitungen für die grosse Grenzfahrt zu treffen.


An Rainers Moped müssen noch kleine Anpassungen vorgenommen werden: Der Lenker hat noch nicht die richtige Neigung, der Sattel ist etwas zu niedrig und wackelt, ausserdem wird für den höheren Sitzkomfort noch das neuseeländische Schaffell darauf befestigt - Peter hat auch dafür eine Lösung. Bei der Einstellung des Lenkers muss letztendlich noch der Hammer her ...!


Beim Vergaser hapert es mit der Spritzufuhr - der Motor stirbt immer wieder ab. Aber für diese Schrauben genügt auch das Schweizer Taschenmesser. Gut zu wissen, denn Rainer trägt es immer bei sich. Nach der letzten Testfahrt gibt es grünes Licht für den Tourstart morgen.


Damit die Kommunikation während der Fahrt auch klappt, wird die Gegensprechanlage an allen drei Helmen synchronisiert - auch das funktioniert und resultiert in strahlenden Gesichtern.


Das Auto ist inzwischen mit allem Notwendigen beladen: Werkzeuge, Ersatzmotor, Kleinteile, Kanister mit Öl und Benzin, Messbecher für die richtige Mischung, Diebstahlsicherung für die drei edlen Mopeds, der Fahrradträger (für Notfälle, die aber nicht auftreten werden, denn Peter versteht seinen Job) und Reisetaschen für das persönliche Gepäck.


Rainer erklärt noch das Navigationssystem und damit sind die Vorbereitungen abgeschlossen. Peters Frau Heike bemerkt noch: Das Ganze kommt ihr vor wie damals der Film mit den tollkühnen Männern in ihren fliegenden Kisten ...


Schenefeld – Lübeck, 109 km

Montag, 20. Mai 2019


Gestern Abend zeigte sich plötzlich die Abendsonne und wir sind noch schnell in die Hamburger Hafencity gefahren, um einen Blick auf die Elbphilharmonie zu werfen.


Der Startschuss fällt morgens in Schenefeld und die Tour beginnt - wohlgelaunt und erwartungsvoll. Die Freude währt nicht lange, schon nach 15 km erhält der Optimismus einen Dämpfer. Peters Motor streikt und bleibt ohne Leistung liegen. Ein neugieriger Passant ist fasziniert von den drei gleichen Mopeds (er ist selbst Sammler) und erweist sich als rettender Engel. Kurzerhand lädt er die defekte Vicky und Peter in seinen VW-Bus und bietet ihm seine perfekt angerichtete Werkstatt zu Hause an. Peter kann im Stehen an seinem Moped basteln, statt kniend am Strassenrand. Er stellt fest, dass die Zylinderkopf-Dichtung der Grund des Übels war.


Rainer weiss nicht mehr genau, wie oft bei ihm und Ingo Vergaser ausgebaut und gereinigt wurde und wie oft dieser mit Hammer und Schraubenzieher bearbeitet werden musste, um die Verklemmung des Schwimmers zu lösen. Als Zugabe: Zündkerzenprobleme.


Ingo geht zuerst das Benzin aus, dann läuft auch Rainers Moped leer. Der Spritverbrauch war doch höher als gedacht. Aber wozu hat man die perfekte Mischung Benzin/Öl im Begleitfahrzeug? Anruf genügt!


Nach diesen Reinigungs- und Reparaturarbeiten am Testreisetag bleiben die drei Vicky-Männer optimistisch, dass die Tour weitergefahren werden kann. Immer wieder bleiben auch Leute interessiert, staunend und bewundernd bei den Mopeds mit vielen Aaahs und Ooohs stehen.


Das Bild oben ist der Beweis: Erste Etappe mit kleinen Hindernissen glücklich bewältigt!


Lübeck – Grossenbrode, 110 km

Dienstag, 21. Mai 2019


Um vor der heutigen Etappe noch ein paar kleine Probleme mit den Vergasern und Zündkerzen zu beheben, suchen wir gleich nach dem Frühstück den Bosch-Service auf und hoffen dort auf entsprechende Hilfe. Wir ernten nur Kopfschütteln - die Werkstatt ist auf Autos spezialisiert. Aber wir dürfen den Schlauch mit der Druckluft benutzen: Das ist schon sehr hilfreich, um alle Kraftstofffilter mal richtig durchzupusten. Das ganze Ausbau-, Reinigungs- und Einbau-Prozedere dauert zweieinhalb Stunden.


Die Mopeds laufen dann ziemlich rund, nur das Navi ist nicht präzise genug. Der offizielle Fahrradweg führt durch den mautpflichtigen Herrentunnel, der für Fussgänger, Fahrräder und Mopeds verboten ist. Für die Durchfahrt pendelt alle fünfzehn Minuten ein Shuttle-LKW, der Mensch und Fahrzeug durch den Tunnel befördert.


Während ich in Travemünde auf die Jungs warte, kann ich schon mal Rainers Brille reparieren lassen (Schraube ging verloren) und erkunden, wo wir dann als kleine Mittagsverpflegung ein Fischbrötchen zu essen bekommen. Hier im Hafen liegt auch das historische Segelschulschiff ,Passat‘ und hier verlief bis 1989 die innerdeutsche Grenze.


Dann fängt es an zu nieseln, bald regnet es kräftig. Und die drei Jungs fahren tapfer weiter, immer an der Ostseeküste entlang. Die Mopeds halten auch durch, einmal wird zwischendurch aus dem Reservekanister (Begleitfahrzeug!) der Treibstoff nachgefüllt und kurz vor dem Ziel ist es fast trocken. Da wir in Heiligenhafen keine Unterkunft mehr gefunden haben, übernachten wir in Grossenbrode kurz vor der Fehmarnsund-Brücke. Der Ostseestrand liegt verlassen da, auch die Strandkörbe warten auf besseres Wetter und Urlaubsgäste.


Grossenbrode – Kappeln, 193 km

Mittwoch, 22. Mai 2019


Uns wurde gestern Abend mal wieder vor Augen geführt, wie abhängig wir von unserem elektronischen „Spielzeug“ sind. Bis weit nach Mitternacht haben wir versucht, mit die Tücken des Internets zu kämpfen. Als Rainer endlich die Tagestour auf dem Navi hatte und der Zielort feststand, verspürte ich absolut ich keine Lust mehr, noch ein Hotel zu buchen.


Nach dem Frühstück ziehen die Jungs gleich ihr Regenzeug an. Es hat die ganze Nacht über kräftig geregnet. Zum Glück standen die Mopeds geschützt in einem Schuppen - unseren Gastgebern sei hier nochmals gedankt!


Es geht heute Richtung Kiel und Eckernförde. Die Mopeds laufen gut - solange sie Treibstoff im Tank haben ... und ich versuche immer, nicht zu weit weg zu sein. Diesmal liegen zwischen uns nur acht Kilometer Distanz, als der Hilferuf mich erreicht. Da stehen sie am Strassenrand, pudelnass, geduldig wartend. Ich habe inzwischen den Reservekanister mit Super-Benzin betankt, Peter muss nun erst das Öl dazumischen, damit der Cocktail den Vickys auch bekommt.


Nach einer Irrfahrt durch Kiel, einer gesperrten Brücke und einer sich verweigernden Fähre landen  die tollkühnen Drei in Strande an der Ostsee, erholen sich beim Essen, machen kleine Korrekturen an zwei Kupplungen und füllen die Tanks. Sie kommen jedoch nicht sehr weit. Der nächste Hilferuf folgte bereits zehn Minuten später: ausgehängtes Schaltseil. Am Leuchtturm Bülk. Die Reparaturpause bedeutet für mich einen Spaziergang am Meer.


Weitere zehn Minuten später: Zum Glück haben wir den Fahrradträger nicht umsonst gekauft - so kann Peters Moped mit Motorschaden einfach zum Hotel in Kappeln transportiert werden. Rainer und Ingo machen sich im Feierabendverkehr auf den Weg nach Eckernförde und weiter zum Hotel. Irgendwie sind aus den geplanten 130 km letztendlich 193 geworden ...


Kappeln – Flensburg, 47 km

Donnerstag, 23. Mai 2019


Peter bastelt schon seit viertel nach vier wieder am Moped. Bis wir aufstehen, hat er bereits erfolgreich eine Probefahrt absolviert.


Entlang der Strecke nach Flensburg dominieren die gelben Rapsfelder, die in der strahlenden Sonne fast aufdringlich leuchten. Ab und zu zeigt sich das Blau der Ostsee.


Der Motor von Peters Vicky bereitet noch Sorgen, Peter sitzt in Flensburg an einer Strassenecke auf dem Benzinkanister, ruhig und gelassen, die Pfeife im Mundwinkel - und tüftelt, bastelt, schraubt. Während Rainer sich in den Räumen der Volkshochschule schon mal auf seinen Vortrag über unsere Japanreise (auf Plattdeutsch) vorbereitet. Den wir uns gemeinsam später auch anhören.


Unser Hotel hat keine eigenen Parkplätze. Für die Nacht dürfen wir aber die drei Mopeds in der Eingangshalle abstellen.


Flensburg – Breklum, 111 km

Freitag, 24. Mai 2019


Die winzigen Tanks der Mopeds sind leer, ich habe gestern Abend den Benzinkanister noch gefüllt, jetzt kann Peter wieder seinen Lieblingscocktail herstellen. Natürlich wird auch noch ein bisschen an den Vickys gearbeitet: die Ketten gespannt.


Ich weiss von mindestens vier Zwangspausen wegen des Vergasers, bin mir aber nicht sicher, ob mir die Jungs immer alles erzählen. Und das Benzin geht ihnen aus, als ich zwanzig Kilometer von ihnen entfernt bin. Leider erhalte ich dann auch noch falsche Koordinaten vom Ort des Geschehens - die Drei mussten eine halbe Stunde auf mich warten.


Der erste Abschnitt der heutigen Strecke verläuft parallel zur dänischen Grenze und heisst tatsächlich Grenzstrasse - wie einfallsreich! Sie endet praktisch in Seebüll beim Emil Nolde-Museum.


Dann sind wir an der Nordsee. Auf dem Deich zwischen dem Wattenmeer und dem Hauke-Haien-Koog schauen mir die Schafe neugierig entgegen, während die unendlich vielen Wasservögel im Koog (Vogelschutzgebiet) alle ins Wasser flüchten. Der schleswig-holsteinische Nationalpark Wattenmeer steht auf der UNESCO-Weltnaturerbeliste.


Da Rainer heute Geburtstag hat, gehen wir alle zusammen noch essen, so richtig in ein Restaurant mit weissen Tischdecken und so ...


Breklum – Karolinenkoog, 130 km

Samstag, 25. Mai 2019


Auf dem Weg nach Husum kreuzen wir auf schmalen Strassen durch das Marschland. Deiche, Schafe, Kühe. Und Wind. Viel Wind. Theodor Storm nannte Husum „die graue Stadt am Meer“. Heute präsentiert sich Husum bunt mit seinem kleinen Hafen und den Gassen der Altstadt.


Auf der Halbinsel Eiderstedt besuchen wir den Roten Haubarg, einen historischen Bauernhof aus dem 17. Jh. und ein Beispiel für Leben und Arbeiten unter einem Dach. Dann geht es immer am Deich entlang bis Westerhever zu dem bekannten Leuchtturm. Die Mopeds laufen zuverlässig.


Auch am Strand von St. Peter Ording. Der breite Sandstrand darf befahren werden und so schlingern die drei blauen Vickys durch den doch recht tiefen Sand. Das gehört einfach dazu!

Peter freut sich, dass bis jetzt alles rund läuft und keine Pannen den Fahrspass trüben. Damit malt er den Teufel an die Wand.


Beim Eidersperrwerk, dem grössten deutschen Küstenschutzbauwerk, leckt seine Vicky - Öl läuft aus. Ziemlich viel. Ratlosigkeit macht sich breit. Auch Fremde nehmen Anteil und erteilen Ratschläge. Wir wagen die Weiterfahrt, ich fahre mit dem Auto dicht hinter den Jungs her bis nach Tönning. Den historischen Hafen wollen wir nicht links liegen lassen. Die Vicky erhält noch einen guten Schluck Öl, mit dem sie die letzten Kilometer bis zur Unterkunft im Karolinenkoog schafft.


Nach gründlicher  Analyse lässt sich der Schaden am einfachsten in Peters eigener Werkstatt beheben. Morgen ist Sonntag und es soll regnen - keine guten Voraussetzungen für eine Reparatur. Jetzt sind wir noch nah genug an Schenefeld (eine Stunde Fahrzeit mit dem Auto), dass wir das Moped abends noch auf den Fahrradträger setzen, damit Peter in aller Frühe zur Reparatur nach Hause fahren kann. Und wir anderen kommen unverhofft in den Genuss eines Rast- bzw. Ferientags.


Karolinenkoog

Sonntag, 26. Mai 2019


Peter hat sich morgens um drei Uhr bereits auf den Weg nach Hause gemacht, um ein Loch im Motorgehäuse seiner Vicky zu reparieren.


So ein Regentag entspannt. Endlich mal Zeit für so Dinge wie Routenplan (Bild oben) zeichnen. Unsere Unterkunft hier in Karolinenkoog können wir problemlos um eine Nacht verlängern. Das Landhaus Pfahlershof liegt (wie der Name des Ortes schon sagt) in einem Koog. Und ein Koog ist flaches Marschland, durch Deichbau und Entwässerung aus dem Meer gewonnen. Eine herrliche weite Landschaft. Und man spürt die Nähe der Nordsee, obwohl man geschützt hinter einem Deich lebt.


Wir machen einen ausgedehnten Spaziergang nach Tönning - bei Nieselwetter und Wind. So richtiges Schmuddelwetter. Dagegen hilft das an der Nordsee verbreitete Heissgetränk Pharisäer - gesüsster Kaffee, brauner Rum und eine dicke Haube aus Schlagsahne.


Peter kommt nach getaner Arbeit mit Auto und Moped zurück - hoffen wir, dass seine Vicky den kommenden Kilometern gewachsen ist!


Karolinenkoog – Glückstadt, 117 km

Montag, 27. Mai 2019


Der Benzinkanister ist leer, ich fahre vor dem Frühstück schnell mal zur Tankstelle. Betonung auf „schnell mal“. Mitten auf der Brücke über die Eider steht plötzlich eine rote Ampel. Ich bin bestimmt acht Mal über diese Brücke zwischen Tönning und Karolinenkoog gefahren, nie war dort eine Ampel! Und dann geht vor meinem Auto auch noch eine Schranke runter und die Strasse kommt hoch. Die Brücke öffnet sich für eine Schiffsdurchfahrt. Und die dauert.


Bei der Tankstelle sind sehr viele Tanksäulen, fast alle für Diesel, aber hinten in der Ecke gibt es auch Super-Benzin. Ich räume also den Kofferraum aus (Werkzeuge, Ersatzteile usw.), denn der Kanister steht wegen der Neigung der Heckklappe ganz hinten. Mit der Kreditkarte zum Automaten. Das Display verkündet: Säulen defekt. Also alles wieder einpacken und das Navi nach der nächsten Tankstelle fragen. So viel zu „schnell mal“.


Wir fahren um neun Uhr los, im Zick-zack durchs Marschland. Hier gibt es unglaublich viele Windräder, mehr als anderswo hier an der Küste. Um zehn Uhr kommt der Notruf. Zum Glück funktioniert die Standortfreigabe mit Google Maps und ich finde die drei Ratlosen neben ihren Mopeds. Fahrradträger raus, Peters frisch repariertes Moped drauf, nach Büsum sind nur sieben Kilometer. Die erste Werkstatt-Adresse, die wir anfahren, entpuppt sich als neues Hochhaus. Bei der zweiten klappt es. Nun wird gerätselt, gebastelt, ausprobiert, durchgepustet, ausgetauscht (Kerzenstecker) ...


Endlich kann es weitergehen. Leider vergisst Rainer, den Benzinhahn zu öffnen, nach 150 m bleibt der Motor stehen. Ursache: Kerzenstecker angeschmort. Und auch ein bisschen Sand vom Fahren am Strand. Nach fünf Stunden (drei Uhr nachmittags) laufen beide Vickys wieder. Im Stehen gibt’s schnell ein Fischbrötchen, für mehr bringt niemand Geduld auf ... Den Fahrradträger packe ich lieber gar nicht mehr ein.


In Brunsbüttel an der Schleuse wird noch einmal geschraubt, dann nehmen wir die Fähre über den Nord-Ostsee-Kanal und erreichen ziemlich müde unsere Unterkunft etwas ausserhalb von Glückstadt.


Beim Essen kann man hier auch eine ziemliche Überraschung erleben, wenn man eine Aal-Suppe bestellt. Man findet alles in der Suppe, nur keinen Aal! Sie wird aus Schinkenknochen gekocht und mit Gemüse, Mehl und Backobst zubereitet - eine Art Restesuppe nach einem Rezept aus der 18. Jh., in die „allns rinkümmt“, also alles reinkommt. Schmeckt süsssauer.


Glückstadt – Bremerhaven, 117 km

Dienstag, 28. Mai 2019


An der Fähre in Glückstadt müssen wir nicht lange warten und kreuzen über die Elbe nach Wischhaven, also von Schleswig-Holstein nach Niedersachsen. Bis zum ersten Hilferuf dauert es nicht lange - bei der Abfahrt von der Unterkunft wurde den Vickys ihr Schlückchen Treibstoff nicht gewährt!


Später gesellt sich ein alter Freund von Peter zur Moped-Gesellschaft, allerdings auf einem richtigen Motorrad. Er hat auch überaus wertvolle Mitbringsel: Kerzenstecker! Und er weiss, wo wir frühstücken können; in unserer Unterkunft gab es nämlich nur eine Tasse Kaffee ...


In Cuxhaven müssen wir natürlich zum nördlichsten Punkt von Niedersachsen fahren, der Kugel-Bake, ein aus Holz errichtetes Seezeichen. Sie steht an der Mündung der Elbe, ist das Wahrzeichen von Cuxhaven und seit 1913 auch im Wappen der Stadt. Siehe Bild oben.


Die Jungs fahren wo immer möglich an der Küste, ich muss mit dem Auto grössere Umwege in Kauf nehmen. Wir treffen uns wieder in Sahlenburg, wo sich im Wattenmeer nicht nur Menschen vergnügen, sondern auch Pferde galoppieren und Wattwagenfahrten (Pferdekutsche) stattfinden. Ein abwechslungsreiches Bild.


Im Grossen und Ganzen laufen die Vickys heute problemlos - abgesehen von ein paar wenigen Spielereien mit den Vergasern. Aber vielleicht sollte ich diese der Kategorie „Unterhalt“ zuordnen und nicht als Pannen zählen. Gleich nach Ankunft im Hotel in Bremerhaven werden die Mopeds „gewartet“ - das bedeutet nichts anderes als wieder schrauben, schrauben, schrauben!


Vielleicht sollte ich einmal erwähnen, nach welchen Kriterien ich jeden Abend das Hotel für den nächsten Tag buche:

Verfügbarkeit von einem Doppelzimmer und zwei Einzelzimmern (oft schwierig)

Kostenfrei stornierbar (wir wissen nie, ob wir abends das Ziel auch wirklich erreichen)

Sichere Unterstellmöglichkeit für die Mopeds (für Peter am liebsten natürlich mit Werkstatt)

Kostenloses W-Lan

Frühstück sollte angeboten werden

Na ja, und der Preis spielt natürlich auch eine Rolle bei geschätzten 50 Übernachtungen ...


Bremerhaven – Hooksiel, 120 km

Mittwoch, 29. Mai 2019


Rainer hat endlich die Freischaltung seines neues Mobilfunk-Anbieters erhalten und muss nicht mehr teuer über das Schweizer Netz telefonieren und Daten nutzen. Jetzt kann er sich europaweit Kommunikations-Opfer suchen. Aber vor allem können wir endlich die Standortfreigabe auf Google Maps zwischen uns aktivieren. So weiss ich immer, auf welchem Deich oder Marschland-Schleichweg sich die Jungs befinden und kann sicherstellen, dass ich mich auf den Hauptstrassen nie zu weit von ihnen entferne.


Wir verlassen Bremerhaven auf getrennten Wegen: Die Mopeds nehmen die Weser-Fähre nach Nordenham-Blexen und suche mir eine Brücke. Die Strecke führt dann immer an der Küste entlang, für die Jungs mal auf dem Deich, mal vor dem Deich oder auch hinterm Deich. Um den Jade-Busen herum, bis nach Wilhelmshafen. Zwischendurch wird aufgetankt, aber nur vorsorglich, damit nicht wieder einer leerläuft.


Die Stadt ist der größte Standort der Marine und der mit Abstand größte Standort der Bundeswehr. Wilhelmshaven hat den Tiefwasserhafen mit der größten Wassertiefe in Deutschland und ist der größte Erdölumschlaghafen des Landes. Die Vickys sind ohne Panne frühzeitig bis hierher gekommen, das gibt den drei Herren ausreichend Zeit, noch das Marinemuseum zu besuchen.


Ich fahre voraus und schaue mir den Küstenbadeort Hooksiel an, in dem wir übernachten werden. Kaum sind die Mopedfahrer ein paar Stunden später angekommen, wird gleich wieder zum Werkzeug gegriffen. Rainers Vergaser bzw. „Versager“ bereitet immer wieder Probleme. Aber zumindest gab es heute keine Ausfälle. Ein Lichtstreifen am Horizont!


Hooksiel – Aurich, 110 km

Donnerstag, 30. Mai 2019


Es regnet. Nach dem Frühstück ist der Himmel zwar immer noch dunkelgrau, aber trocken. Das hebt die Laune erheblich. Jetzt stehe ich mit dem Kanister an der Tankstelle und es passen nur 14 Liter hinein. Hoffentlich haben die Jungs vor der Abfahrt noch getankt!


Die Route führt immer an der Küste entlang, über Harlesiel, Carolinensiel, Neuharlingersiel, Bensersiel. Die Landschaft ist hier wirklich „so flach, dass man am Mittwoch schon sieht, wer am Wochenende zu Besuch kommt“ - dieser Ostfriesen-Witz hat durchaus seine Berechtigung. Überall starten hier die Fähren zu den Ostfriesischen Inseln Wangerooge, Spiekeroog, Langeoog, Baltrum, Norderney, Juist und Borkum. Für die Besichtigung all der kleinen Orte ist wenig Zeit, wenn wir vor dem ersten Schnee Deutschland umrundet haben wollen. Aber ich halte wenigstens immer für ein paar Fotos an. Sofern ich einen Parkplatz finde. Das ist für die Mopeds einfacher!


Unterwegs gibt es Kaffee und Kuchen für die Jungs und frisch gemixten Spezialcocktail für die Vickys. Sie halten gut durch, ausser ein paar störenden Aussetzern ... Und Peter versucht das Problem mit dem Schwimmerniveau bei Rainers Versager-Vergaser zu lösen.


In der ostfriesischen Küstenstadt Norden suchen wir gezielt nach dem Gebäudeensemble „Dree Süsters“, („Drei Schwestern“, 16. Jh.). Norden ist die nordwestlichste Stadt auf dem deutschen Festland.


Und ganz nah liegt das Speedway Motodrom in Halbemond. Nichts wie hin. Wir haben Riesenglück und werden ins Klubhaus des MC Norden auf einen Kaffee und viel Fachsimpelei eingeladen. Die Rentner-Idee der Grenzumfahrung mit den Vickys findet auch hier grossen Anklang („wenn nicht jetzt, wann dann“) und uns wird zum Abschied noch ein Gedicht mit auf den Weg gegeben:

Lasst die Alten nicht am Wege stehn

Lasst sie noch ein wenig mit euch gehn

Auch alte Menschen wolln sich unterhalten

Und ihre eignen Ideen gestalten

Das Leben ist kurz, kein Mensch kann es halten

Und eh du dich versiehst, gehörst du selbst zu den Alten


Unser Hotel für die heutige Nacht liegt in der Altstadt von Aurich (Ostfriesland/Niedersachsen), viele Gebäude stehen unter Denkmalschutz und der älteste erhaltene Bau des Schlossbezirks stammt aus dem Jahr 1588.


Aurich – Meppen, 150 km

Freitag, 31. Mai 2019


Erster Halt: Emden. Geburtsstadt von den Komikern Otto Waalkes und Karl Dall. Jetzt finden gerade die Emser Matjestage statt, alles dreht sich um den Fisch, gefeiert werden 450 Jahre Tradition der Heringsfischerei. Wir schauen kurz im „Otto Huus“ zu den Ottifanten, Rainers Sonnenbrille (neulich war es seine Lesebrille) wird vom Optiker repariert, Ingo kauft einen Aal fürs Abendessen und neugierig-bewundernde Passanten erhalten eine Kurzversion unseres Vicky-Projekts. Es ist schon erstaunlich, wie viele Männer sich mit glänzenden Augen an ihre Moped-Zeit erinnern - manchmal war ihr erstes eine Victoria.


Während die Jungs nach Leer weiterfahren, gönne ich mir einen Abstecher zum Pilsumer Leuchtturm, dem Hauptdarsteller der Kinderbuchreihe Lükko Leuchtturm. Und wer den Otto-Film gesehen hat, erkennt ihn auch wieder. Pro Jahr finden hier ca. 200 Trauungen statt - auch heute ist ziemlich viel Rummel.


Die Altstadt von Leer gilt historisch als wertvollste der Region. Burgen, Bürgerhäuser und Kirchen aus mehreren Jahrhunderten sind in der Stadt zu finden.


In Papenburg, in der Meyer-Werft, wird zurzeit wieder ein gigantisches Kreuzfahrtschiff gebaut. Gegründet 1795, befindet sich die Werft in siebter Generation im Familienbesitz. Papenburg ist durch die Lage an der Ems der südlichste Seehafen Deutschlands.


Die Jungs sind auf Fahrradwegen immer sehr nah am Fluss gefahren, meistens waren die Strässlein für Autos gesperrt. Deshalb heute keine Bilder der tapferen Männer. Und ich muss mich auf ihre Pannen-Aufzählung verlassen: ein ausgehängter Gaszug, stotternde Versager-Vergaser; falsch abgestellte Mopeds werden vom Wind umgeblasen, Resultat: ein Lenker verbogen, ein Pedal gelockert. Insgesamt führt ihre Strecke ungefähr zwei Kilometer durch Fussgängerzonen, was sehr häufig von älteren Damen mit erhobenem Zeigefinder quittiert wird. Kurz vor der Unterkunft in Meppen geht ihnen noch das Benzin aus ... Und am Abend wird wieder zerlegt und gebastelt.


Meppen - Ahaus-Ottenstein, 111 km

Samstag, 1. Juni 2019


Vor der Abreise: Fototermin mit dem Hotelmanager. Er findet die Sache mit den Mopeds eine absolut coole Idee, so etwas ist ihm noch nie untergekommen.


Nur 17 km ausserhalb von Meppen stehen die Männer bereits am Strassenrand und schimpfen über den Vergaser. Ein neuer Filter schafft Abhilfe. Aber dann benötigt das Fahrrad-Navi noch ein paar Streicheleinheiten, bevor es gnädig wieder die Route anzeigt.


Lingen und Nordhorn sind hübsche kleine Orte, ein kurzer Rundgang über den Marktplatz mit den historischen Gebäuden lohnt sich.


Dann erhalte ich von den drei Herren eine Einkaufsliste für ein Picknick, denn im Gepäck (sprich: auf meinem Rücksitz) lauert immer noch der Aal aus Emden. Ich ziehe also den Einkaufskorb durch den Supermarkt - da kommt der Notruf: Treibstoff ist alle. Seit Ingo seine kleine Reserveflasche für einen halben Liter Benzin verloren hat, stranden sie immer sofort. Die Jungs werden ab morgen jeder ein kleines Fläschchen Treibstoff mit sich führen, damit sie wenigstens aus dem Wald herauskommen, in den ich nicht hineinfahren darf.


Ich finde sie über Witze lachend vor, es wird getankt, dann riecht das Auto wieder leicht nach Benzin. Ich bin froh, dass der Aal sich in Bezug auf Geruch noch ruhig verhält.


Dann verlassen wir Niedersachsen und sind in Nordrhein-Westfalen.


Unsere Unterkunft ist ein hübsches Landhaus, abseits gelegen, mit viel Platz für unser Picknick, ein kleiner Teich hinter dem Haus, Gänse, Schafe, fröhliches Vogelgezwitscher, die Sonne scheint - es geht uns wirklich gut!


Bis Rainer einen zerknitterten Zettel aus der Hosentasche zieht, der ihm heute Morgen von Peter zugesteckt worden war. Rainer wird ganz blass, als er da liest:

Wartungsarbeiten + Kontrollen

Schrauben + Muttern

Ketten, Bremswiderlager

Hinterrad-Nabe

Unterbrecher-Filz

Radlagerspiel-Federung


Also, an die Arbeit, Jungs!


Übrigens: Unter dem Menu-Punkt „Reiserouten“ führen wir eine Fortschrittskarte, die Vicky-Tour wird jeden Tag aktualisiert.


Ahaus – Goch, 105 km

Sonntag, 2. Juni 2019


Vollbremsung. Wann habe ich das letzte Mal ein Getreidefeld mit roten Mohn- und blauen Kornblumen gesehen?


Heute streikt einer der Vergaser erst nach 24 km - eine erhebliche Steigerung gegenüber gestern! Der Schmutz in der Düse ist nur mit einer Lupe zu entdecken und einer Reibahle zu entfernen. Langsam lerne ich auch das Werkzeug kennen, das ich mit mir führe! Allerdings wird mir gebeichtet, dass dies heute nicht der erste Stopp ist: es musste bereits eine Kerze ausgewechselt werden.


Ach ja, und gestern ist von Ingos Moped einer der beiden Füsse des Ständers abgebrochen, jetzt steht die Vicky halb schräg wie ein Fahrrad, nur viel wackeliger. Also am Montag entweder schweissen lassen oder tatsächlich einen stabilen Fahrradständer montieren.


Bei einer Pause in Bocholt sehen wir einige historische Gebäude, vor allem das Rathaus ist sehr beeindruckend. In Rees führt uns eine Brücke über den Rhein - unsere erste Begegnung mit dem Fluss. Kalkar wartet ebenfalls mit einem hübschen alten Zentrum auf, auch hier ist das Rathaus ein besonderes Bauwerk. Die drei Jungs melden mir per SMS einen Halt zum Eis essen.


Das gibt mir etwas Zeit, um zum Schloss Moyland zu fahren - sein Skulpturen- und Blumengarten lädt zum Verweilen ein. Zumal es sich unter den schattigen Bäumen gut aushalten lässt: 34°C!


Wir übernachten in Goch. Obwohl im Februar 1945 rund 80% der Gebäude durch Bombenangriffe der Alliierten zerstört wurden, datieren einige erhaltene historische Gebäude zurück bis ins 14. und 16. Jh.


Goch – Waldfeucht, 113 km

Montag, 3. Juni 2019


Wir kommen gar nicht erst los. Eine der drei Vickys klingt irgendwie krank, sie knattert selbst für meine ungeschulten Ohren anders als sonst. Damit Peter für die „Pannenhilfe“ nicht auf der Erde sitzen muss, wird kurzerhand der Fahrradträger auf die Anhängerkupplung gesetzt und das Moped darauf festgeschnallt. Als Sitz für Peter dient der Benzinkanister - so ist die Arbeitsposition etwas bequemer.


Den ganzen Tag über ist die Landschaft stark geprägt vom Gartenbau: Freiland und auch Gewächshäuser. Dazwischen grosse Felder mit Kartoffeln und Spargel. In den vielen kleinen Ortschaften befinden sich im Ortskern immer auch historische Backsteinbauten.


Interessant ist die Burg Brüggen, eine Wasserburg aus dem 14. Jh., die erbaut wurde, um eine Furt über den Fluss Schwalm zu sichern. Sie ist heute in Privatbesitz und beheimatet ein Museum. Im Burggarten wimmelt es nur so von zutraulichen Nutrias (Biberratten).


Die Wahl für die Übernachtung fiel auf Waldfeucht (den Namen schon mal gehört?), da wir die Strecken auf etwa 110 km pro Tag begrenzen. Zehn Kilometer der Gemeindegrenze sind gleichzeitig Grenze zwischen den Niederlanden und Deutschland.


Ich erwähne jetzt nicht mehr speziell, dass die Jungs schon wieder seit zwei Stunden an ihren Vickys basteln. Peter hat mir erklärt, dies sei das Salz in der Suppe, wenn man mit Oldtimern herumfährt.


Waldfeucht – Roetgen, 91 km

Dienstag, 4. Juni 2019


Waldfeucht wartet nicht nur mit einer Vielzahl von modernen Windrädern auf, sondern auch mit zwei alten holländischen Windmühlen, beide sind noch betriebsfähig, beide werden von Müllern des Mühlenverein-Selfkant noch zum Mahlen von Getreide genutzt.


Ein Meilenstein auf unserer Tour ist der westlichste Punkt Deutschlands. Wir finden ihn in der Selfkant, der seit August 1963 nach Reparationszahlungen in Höhe von 280 Mio DM an die Niederlande wieder zu Deutschland gehört.


Die Herren fahren mit den Mopeds so dicht an der niederländischen Grenze wie möglich, durch Gangelt und Herzogenrath, es wird langsam hügelig - wir sind in der Eifel, dem deutschen Teil der Ardennen.


Aachen lassen wir bewusst links liegen, die Fahrt durch eine Grossstadt würde die Kupplungen der Vickys unnötig strapazieren - und wir haben noch eine lange Reise vor uns. Wir behalten uns einen etwas längeren Aufenthalt in Aachen zu einem späteren Zeitpunkt vor, zumal 1978 der Dom mit dem Domschatz als erstes deutsches und weltweit zweites Kulturdenkmal auf die UNESCO-Welterbeliste gesetzt wurde. Aachen grenzt an die Niederlande und an Belgien.


Roetgen liegt am Nordrand des Hohen Venn mit seinen Hochmoorflächen und zahlreichen Eifeltalsperren. Ein Grossteil des Gemeindegebiets steht unter Natur- und Landschaftsschutz und hier startet der ausgewiesene Premiumwanderweg Eifelsteig. Die steile Anfahrt in den Ort auf 410 Meter ü.M. (!) nötigt den Herren eine gewisse Kondition ab - sie müssen wie beim Fahrrad unterstützend in die Pedale treten. Ein kleiner Vorgeschmack auf das, was weiter im Süden und dann im Osten noch auf sie zukommt.


Roetgen – Waxweiler, 148 km

Mittwoch, 5. Juni 2019


Zum Glück beschränken sich die Unwetter mit Starkregen und Gewitter immer nur auf die Nacht, heute Morgen herrscht wieder angenehmes Reisewetter.


Wir bewegen uns etwas weg von der Grenze und fahren durch den Naturpark Hohes Venn-Eifel. Ein Paradies für Wanderer und Fahrradfahrer. Knatternde Mopeds erregen eher Unwillen. Es geht durch kleine hübsche Orte mit Fachwerkhäusern, hügelige Landschaft in sattem Grün, mit vielen gelben Lichttupfern - der Ginster steht in Blüte!


In Monschau stehen 330 denkmalgeschützte Bauwerke, eines davon ist ein Patrizierhaus aus dem 18. Jh. (das Rote Haus).


Bei der Streckenführung durch die Eifel lässt es sich nicht vermeiden, dass ab und zu Steigungen bewältigt werden müssen. Teilweise werden die älteren Herren konditionell so richtig gefordert und ohne das Zusammenspiel von Maschinen- und Menschenkraft läuft gar nichts. Also immer kräftig in die Pedale treten. Aber es ist auch erlaubt abzusteigen und zu schieben.


Peter hält etwas grössere Distanz zum Vordermann, er hat gemerkt, dass bei ihm die Auspuffgase Schwindel verursachen. Teilweise fährt er nun auch vorweg und erhält die Anweisungen zum Abbiegen jeweils über das Interkom von Rainer. So geht es auch.


Nur dumm, dass Rainer mitten im Wald eine Mutter vom Tretlager verliert. Das Mass des Gewindes ist so speziell, dass es heutzutage fast nicht mehr aufzutreiben ist. Zu allem Unglück befinden sich die Gestrandeten in einem Funkloch, dass ich sie eine gefühlte Ewigkeit nicht aufspüren kann.


In Prüm finden wir einen Fahrradhändler, der uns aber an eine Motorradwerkstatt weiterleitet - und jetzt wird der Tag doch noch gut! Der Inhaber greift in eine Kiste und produziert genau die Mutter, die wir unbedingt benötigen. Und er wettet, dass man im Umkreis von 200 km keine zweite findet. Er schlägt die drei Jungs sofort in seinen Bann und nimmt sie mit in seine Werkstatt, in der er nach Kundenwunsch individuelle  Motorradgespanne baut. Beim Modell Variablo Touring lässt sich der Seitenwagen zum Beispiel mit ein paar Handgriffen vom Motorrad trennen und als Boot benutzen - fortbewegen kann man sich sportlich mit Rudern oder bequem mit Aussenbordmotor.


Es sind Begegnungen und Erfahrungen wie diese, die so bereichernd sind. Es wird heute etwas später, bis wir in Waxweiler in unserer Unterkunft ankommen. Wir befinden uns jetzt übrigens bereits in Rheinland-Pfalz.


Waxweiler – Nittel, 125 km

Donnerstag, 6. Juni 2019


Die drei Männer tun mir richtig leid: Das ist wie Achterbahn fahren, rauf und runter, mal steiler, mal sanfter, dabei immer kurvig. Und dann tue ich mir gleich selber leid: Ich halte mal für ein Foto an und merke erst wieder im Auto, dass ich in einem Ameisenhaufen gestanden bin - die Tierchen krabbeln nämlich meine Beine hoch! Anhalten, mit den Füssen stampfen, mit den Händen hektisch wischen, Fussmatte ausschütteln, noch mal kräftig mit den Füssen stampfen ... Fast wie ein Indianertanz.


Bei Gmünd verläuft mit dem Flüsschen Our die Grenze zu Luxemburg. Wir folgen dem Fluss und für die Jungs erfüllt sich die Hoffnung, dass der Fahrradweg ziemlich eben verläuft. Und schön ist es hier! Die Strasse schneidet nur manchmal eine enge Flussschleife ab - indem sie über einen Berg führt.


Der Weg entlang der Our wechselt zwischen Luxemburg und Deutschland über viele Brücken hin und her. Bei Wallendorf mündet die Our in die Sauer, einem Nebenfluss der Mosel. Hier setzt sich auch der Radweg fort. Ich muss mit dem Auto ziemliche Umwege fahren, zweimal sogar wegen gesperrter Strassen umkehren.


Nittel ist eine kleine Gemeinde an der Obermosel, die hier die Grenze zu Luxemburg bildet. Der Ort liegt unter einer imposanten Kalksteinwand, 25 Weingüter bewirtschaften die ausgedehnten Weinberge.


Nittel – Saarbrücken, 97 km

Freitag, 7. Juni 2019


Bis nach Schengen/Luxemburg, das durch die Abkommen zur Abschaffung der Grenzkontrollen bekannt ist, folgen wir durch Weinberge dem Lauf der Mosel. Entlang dem Radweg zwischen Konz und Palzem sind 16 Werke des Kunstprojekts „Skulpturen am Fluss“ aufgestellt.


Und schon sind wir im Saarland, das mit dem Slogan wirbt: Grosses entsteht immer im Kleinen. Und Grosses müssen die Herren jetzt bewältigen – es wird anstrengend: insgesamt 624 Höhenmeter hinauf, 588 Höhenmeter hinunter (der leichtere Teil). Aber oben befindet sich ein kultureller Anziehungspunkt im Dreiländereck (D, F, L): Die „Steine an der Grenze“ wurden von Bildhauern aus vielen Ländern gestaltet, sie sollen Zeugnis ablegen von der Kunst unserer Zeit und von der Verständigung über Grenzen hinweg.


Die Vicky-Fahrer benutzen den Uferweg der Saar bis Saarbrücken und sind lange vor mir im Hotel – mit dem Auto im Freitagnachmittagverkehr bin ich chancenlos. Zum Glück hatten wir die Mopeds noch aufgefüllt, bevor sich unsere Wege trennten.


Abends spazieren wir an der Saar entlang bis in die Innenstadt. Der Markt wird dominiert vom neu-gotischen Rathaus, das um 1900 erbaut wurde. Vom 54 m hohen Turm ertönt zweimal täglich ein Glockenspiel.


Saarbrücken – Kandel, 125 km

Samstag, 8. Juni 2019


Das Höhenprofil an der Grenze ist in Frankreich etwas freundlicher zu den rasenden Männern auf ihren himmelblauen Mopeds. Deshalb wählen wir als Route die französische Seite, zumal wir dann auch noch eine Weile an der Saar entlangfahren können.


Das Interesse der Franzosen (Männer und Frauen) an uns und den Vickys ist spürbar grösser geworden. Sogar Motorradfahrer zeigen uns den „Daumen hoch“.


Bitche liegt grenznah in Lothringen (F) und hat auch einen Anteil am Naturpark Nordvogesen. Die Stadt wird überragt von einem Sandsteinplateau, auf dem eine Zitadelle errichtet wurde - weithin sichtbar.


Die Strecke führt uns durch hübsche Orte wie Obersteinbach, Untersteinbach, Lembach und Wissembourg (Elsass), aber auch durch ausgedehnte Wälder des Naturparks Nordvogesen. Und wir kommen in Berührung mit einigen Bunkern an der Maginot-Linie, jener Verteidigungslinie an der deutschen Grenze, die zwischen 1930 und 1940 gebaut worden war.


Pannen bleiben aus, zumindest solche, für die Werkzeug aus dem Auto benötigt wird. Für kleinere „Wartungsarbeiten“ haben die Männer alle Werkzeuge unter sich aufgeteilt und führen diese selber mit. Während der Mittagspause höre ich nur Worte wie Kerzenbrücke und Vergasereinstellung, aber auch echte Begeisterung, wie gut die Vickys laufen.


Am  Nachmittag erreichen wir Kandel (Rheinland-Pfalz). Die Stadt liegt am Nordrand des Bienwaldes, was zum Anlass genommen wurde, an verschiedenen Orten bunt bemalte Bienen aufzustellen (Standbild, knapp zwei Meter gross, mit Fühlern). Ich suche und finde einige, kann sie aber nur schwer als Bienen identifizieren. Beim ältesten Fachwerkhaus Kandels und dem Dampfnudeltor, beides von 1660, ist das einfacher.


Kandel – Wörth – Kandel, 22 km

Sonntag, 9. Juni 2019


Nun ist es passiert. Die Jungs sind weg, mit beiden Autoschlüsseln. Glück im Unglück: Ich rufe an, sie stehen an einer geschlossenen Schranke und Rainer kommt zurück.


Kurze Zeit später meldet eine SMS:  „Wir stehen im Moment zwischen Kandel und Wörth. Bitte warten.“ Weit sind sie ja nicht gekommen! Aber der Werkzeugwagen ist gefragt, ich fahre zurück und suche und finde sie.


Es scheint an der Zündung zu liegen. Nach eineinhalb Stunden steht fest – so geht es nicht weiter. Wie gut, wenn man Freunde hat, die man auch am Pfingstsonntag anrufen und um Hilfe bitten kann. Und zufällig wohnen die Freunde in Wörth!


Alles liegt für eine grössere Reparatur bereit: Decken zum Draufknien, ein Arbeitstisch, eine Rolle Küchenpapier für schmierige Hände – und durchs Haus zieht Kaffeeduft. Schon wieder Glück im Unglück! In den nächsten vier Stunden wird die Zündanlage ausgebaut und ersetzt. Wir werden noch mit Kaffee und frischem Erdbeerkuchen so richtig verwöhnt (mmmhh, lecker!) und sind eigentlich froh um diesen Ruhetag. Denn unser geplantes Ziel erreichen wir heute nicht mehr.


Das Hotel von gestern kann uns heute noch einmal aufnehmen und die eigentlich für heute Nacht gebuchte Unterkunft lässt sich problemlos um einen Tag verschieben. Somit fügt sich alles zum Guten. Schliesslich ist ja auch Pfingstsonntag!


Kandel – Schwanau, 131 km (Auto: 252 km)

Montag,  10. Juni 2019


Oje, unter zwei der Mopeds dunkle Pfützen - wer hat denn da gestern Abend wieder vergessen, den Benzinhahn zu schliessen?


Wir fahren das erste Teilstück der heutigen Strecke wieder im Elsass - die Jungs von Anfang an im Regenzeug. Alle Vickys laufen gut, die Reparatur gestern war erfolgreich. Auch der erste Tank-Stopp ist von meiner Seite zeitlich perfekt geplant: als dem ersten Moped das Benzin ausgeht, warte ich bereits nur 100 m weiter hinter der nächsten Kurve. Die Herren staunen ob des Timings ...


Es regnet ununterbrochen, mal mehr, mal weniger. Unverdrossen sitzen Angler am Ufer der Sauer unter dem Regenschirm. Jetzt noch über die Rheinbrücke zwischen Beinheim und Wintersdorf - und wir befinden uns in Baden-Württemberg auf der „Badischen Spargelstrasse“. Wirklich - die heisst so!


Wir folgen dem Rhein, sehen ihn aber nur selten, er liegt hinter dem Rheindamm (Hochwasserschutz). Dann fällt Rainer plötzlich ein, dass sein Rucksack noch im Café in Iffezheim liegt, wo die Herren ihre Mittagspause verbracht haben. Das heisst 35 km zurück. Für mich.


Ich fahre mitsamt Rucksack dann über die Autobahn direkt zum Hotel, die drei Herren sollten inzwischen ebenfalls angekommen sein. Sind sie aber nicht. Zwölf Kilometer vor dem Ziel hat eine der Vickys einfach den Geist aufgegeben. Ich fahre noch mal los und hole sie ...


Diagnose: durchgebrannte Zündspule. Und die muss nun erst bestellt und per Express zu uns geschickt werden. 2‘360 km haben wir inzwischen geschafft - aufgeben ist keine Option!


Schwanau

Dienstag, 11. Juni 2019


Peter kennt den Seitenwagenweltmeister von 1982, der im Nachbarort Meissenheim wohnt, er ruft ihn an, besucht ihn und erhält genau die richtige Adresse, wo er die Zündspule (plus eine extra) kaufen kann, die er für die Vicky benötigt. Das ist wirklich ein Glücksfall!


Nach all den Reparatur- und Wartungsarbeiten an allen drei Mopeds besuchen Rainer und ich noch die kleine Stadt Gengenbach am nördlichen Rand des Schwarzwaldes. Die einstige Reichsstadt bietet ein zauberhaftes Gebäudeensemble aus unterschiedlichsten farbigen Bauten, teils in Fachwerk, teils in Sandstein. Dazu kommen alte Tore und Türme, enge, winkelige Gassen, ein Narren- und ein Flössermuseum. Wir sind dem Charme des Ortes erlegen.


Da wir nun alle wieder mobil sind, können wir die nächste Etappe planen. Die Suche nach einer Unterkunft in der Region Lörrach erweist sich als sehr schwierig, da irgendwo dort eine Messe stattfindet und viele Häuser ausgebucht sind. Ein Zimmer ist überall noch zu bekommen, aber drei ...


Schwanau – Rheinfelden, 136 km

Mittwoch, 12. Juni 2019


Wie angekündigt, regnet es. Aber da die Regenkleidung und Handschuhe seit vorgestern ja gut getrocknet sind, können sie ihrem Zweck gleich wieder zugeführt werden.


Wir folgen dem Rhein, über Rust mit seinem Europa-Park (Vergnügungspark) und durch das ausgedehnte Weinbaugebiet am Kaiserstuhl. Kaffee-Stopp in Breisach: Hoch über der Stadt thront das Münster, im Hafen unten am Rhein liegen Flussfahrtschiffe.


Der Isteiner Klotz versperrte ursprünglich dem Rhein den Weg Richtung Norden, so dass dieser zuerst übers Rhonetal ins Mittelmeer floss. Wegen seiner exponierten Lage gegenüber der französischen Grenze wurde er immer wieder mit Burgen und Festungsanlagen versehen. In einer Nische oben im Fels befindet sich heute nur noch die wieder aufgebaute St. Veitskapelle.


Am Isteiner Klotz erhalten die Vickys ihr zweites Schlückchen Treibstoff, damit sollten sie bis ins Ziel gelangen. Die Herren und die Mopeds sind also versorgt, ich mache einen kleinen Umweg nach Weil am Rhein ins Vitra-Design-Museum.


Dann klingelt mein Telefon - kein gutes Zeichen. So kurz vor dem Tagesziel. Aber von einer der Vickys hat sich beim letzten Anstieg zwischen Lörrach und Rheinfelden das Pedal gelöst. Na ja, es sind nur noch acht Kilometer bis zur Unterkunft. Und die Jungs haben inzwischen Übung im Aufbauen des Fahrradträgers ...


Es ist schon unglaublich: Auf dem Parkplatz befindet sich ein junger Handwerker mit einer „Schwalbe“ (= DDR-Roller mit Kultstatus). Wer so einen Oldtimer fährt, der weiss bestimmt, wo man passende Schrauben und Muttern bekommt. Und tatsächlich, er lädt Peter in seine Werkstatt ein und wühlt in seiner Schrauben-Kiste. Die Mutter passt zwar nicht ganz genau, aber als Provisorium genügt sie. Die Weiterfahrt ist erst einmal gesichert.


Rheinfelden – Gottmadingen, 127 km

Donnerstag, 13. Juni 2019


Wir orientieren uns immer noch am Rhein als Grenze. Über Bad Säckingen gelangen wir nach Laufenburg (Baden), das durch den Fluss in zwei Teile getrennt wird und auch gleich in zwei Länder: die eine Hälfte der Stadt liegt in Deutschland, die andere in der Schweiz, verbunden durch eine alte Steinbrücke.


Ich treffe hier auf die Vicky-Fahrer, die mir von immer wieder auftretenden kleinen Problemen berichten, mal der Vergaser, mal die Zündkerzen - bei einem Motorradhändler werden sogar neue gekauft.


Wir verabreden uns in Rheinheim für einen Tankstopp, damit es die Vickys auch durch die Schweiz schaffen, denn sie möchten Schaffhausen noch einen Besuch abstatten. Auf mich können sie erst einmal nicht zählen, denn ich bleibe in Deutschland. Ich möchte verhindern, dass mich ein Zöllner fragt, wieso ich Gepäck für vier Personen mit mir führe. Und was denn die Kanister und das Werkzeug und der Motor und die undefinierbaren Teile im Kofferraum bedeuten. Bei so einer Zündspule kann man durchaus auf die Idee kommen, dass man mit dem ganzen Zeug vielleicht eine Bombe bauen kann.


Ich fahre also durch den Südschwarzwald und den wunderschönen Klettgau mit den vielen grünen Hügeln und geschwungenen, steilen Strassen. Kaum in Gottmadingen angekommen, klingelt das Telefon. Was das bedeutet, weiss ich schon, bevor ich den Anruf annehme. Motorschaden. Nichts läuft mehr. Ich räume also alles Verdächtige aus dem Auto und nehme den kurzen Weg durch die Schweiz, das sind nur zweiundzwanzig Kilometer gegenüber fünfzig aussen herum. Und ich werde an der Grenze tatsächlich angehalten und gefragt, was ich mitführe!


Mit der Vicky auf dem Fahrradträger fahre ich dann aber lieber nicht durch die Schweiz, womöglich muss ich das Moped sonst noch importieren, verzollen, Mehrwertsteuer bezahlen und wieder exportieren. Man weiss ja nie, auf welche Ideen Zöllner kommen!


Gottmadingen

Freitag, 14. Juni 2019


Stimmungstief. Wie weiter? Inzwischen haben alle drei Vickys mindestens einmal mit dem Fahrradträger Bekanntschaft gemacht. Jedes Mal aus einem anderen Grund. Und was bei einem Moped kaputtgeht/ausfällt, kann bei den anderen beiden auch noch passieren. Zum Glück können wir das Hotel um eine Nacht verlängern.


Am wichtigsten ist jetzt: Ursachensuche. Das bedeutet: schrauben, auseinandernehmen, putzen, suchen, finden, wieder zusammenbauen, Testfahrt, AUFATMEN!


Das gibt mir (und Ingo) endlich Zeit für einen Frisörbesuch.


Für alle, die sich damit auskennen (im Gegensatz zu mir): Peter legt Wert darauf, dass der Ausfall gestern nicht auf einen  Motorschaden zurückzuführen ist. Der Auslasskanal war durch Ölkohle verrusst, auch der Auspuff war teilweise verkokt. Eine entsprechende Reinigung gehört standardmässig zur Wartung bei diesen Mopeds, was wegen anderer Probleme bisher unterlassen worden ist.


Ausserdem ist heute noch an der Vergaserabstimmung gearbeitet worden und Bergtests wurden erfolgreich absolviert - schliesslich stehen uns ja noch einige Bergeteppen bevor.


Rainer liefert noch eine lustige Begebenheit nach: In Breisach wurde er von einem jungen Mann mit Rucksack angesprochen, der unbedingt eine Probefahrt mit einer Vicky unternehmen wollte. Rainer liess ihn gewähren und hat den Jüngling damit sehr glücklich gemacht.


Gottmadingen – Friedrichshafen, 64 km

Samstag, 15. Juni 2019


Über Radolfzell gelangen wir nach Konstanz. Die Fahrt wird häufig unterbrochen durch kleine „Wartungsarbeiten“ am Versager-Vergaser. Die Fähre steht bereit und wir lassen uns nach Meersburg übersetzen.


Das Städtchen Meersburg zieht sich den Berg hinauf, zwischen Ober- und Unterstadt besteht ein Höhenunterschied von vierzig Metern. In der Unterstadt säumen Weinhandlungen, Restaurants und Cafés die Unterstadtstrasse und die Seepromenade, in der Oberstadt dominieren Fachwerkhäuser. Oben liegen auch die Meersburg und das Staatsweingut, in dem Annette von Droste-Hülshoff ihre letzten Lebensjahre verbrachte.


Mit weiteren unfreiwilligen Stopps erreichen auch die Vickys Friedrichshafen. Hier entwickelte Graf von Zeppelin seine „fliegende Zigarre“. Das Zeppelinmuseum zeigt ein originalgetreu nachgebildetes dreiunddreissig Meter langes Teilstück der „Hindenburg“ - man kann einsteigen und in den Barsesseln Platz nehmen.


Obwohl unser Hotel mitten in der Stadt liegt, bietet es hinter dem Haus einen grossen Schuppen, in dem die Mopeds gut aufgehoben sind und „gewartet“ werden können.


Friedrichshafen – Immenstadt, 79 km

Sonntag, 16. Juni 2019


Ein kurzes Stück unseres Weges führt uns noch über die Württembergische Weinstrasse. Dann ist es offensichtlich und unverkennbar: Wir sind in Bayern! Offensichtlich deshalb, weil statt Wein nun grossflächig Hopfen angebaut wird, die Hauptzutat zum bayrischen Grundnahrungsmittel.


Wir bewegen uns parallel zur österreichischen Grenze auf der Deutschen Alpenstrasse, Deutschlands älteste (und schönste) Panoramastrasse in den Alpen. In Weiler findet gerade das Allgäufest statt, mit Trachten, Volkstanz, Akkordeonmusik, Goaßlschnalzen (Peitschenknallen), Glockenspiel und natürlich Essen und viel Bier.


Vorbei an Oberstaufen und entlang dem Alpsee erreichen wir Immenstadt. Natürlich nicht ohne die üblichen, technisch bedingten Unterbrechungen. Zumindest gibt es heute kein wirklich ernstes Problem mit den kleinen hellblauen Mopeds. Und erstaunlicherweise auch nicht bei den Steigungen auf der Alpenstrasse!


Immenstadt – Bad Bayersoien, 85 km

Montag, 17. Juni 2019


Endlich haben wir einen treffenden Namen für das Moped fahrende Trio: Wikinger - wir schreiben es natürlich „Vickynger“! (Gute Idee - danke, Andrea!)


Über Nesselwang und vorbei am Weissensee führt die Strecke nach Füssen. Die Vickys bewältigen die Steigungen ohne Probleme, auch sonst laufen sie wie geschmiert. Bayrischen Mopeds bekommt eben die bayrische Luft (Victoria-Werke, Nürnberg)! Dazu die bergige Landschaft, die kleinen Dörfer, die guten Strassen, das üppige Grün, das gute Wetter - ein Tag zum Geniessen.


Füssen liegt im Ostallgäu an der Romantischen Strasse, durch die Stadt fliesst der Lech, über der Stadt thronen das Hohe Schloss und das Kloster St. Mang. Mit Blick auf das Schloss Neuschwanstein wird im Festspielhaus seit 2016 das Musical „ (König) Ludwig“ aufgeführt.


Der Forggensee wird vom Lech durchflossen und ist flächenmässig der grösste Stausee Deutschlands. Wir folgen der westlichen Uferlinie.


Im Ortsteil Wies der Gemeinde Steingaden, dem „bayrischen Pfaffenwinkel“ stossen wir auf die Wallfahrtskirche „Zum gegeisselten Heiland“ (Wieskirche), die zum UNESCO-Welterbe gehört. Sie ist bemerkenswert prächtig ausgestattet und ausgestaltet.


Und die Vickys laufen und laufen ...


Bad Bayersoien ist eine kleine Gemeinde im Landkreis Garmisch-Partenkirchen und bekannt als Moorkurort. Bei einem Spaziergang um den Bayersoiener See kann man ein Moortretbecken ausprobieren und teilweise sonderbare Sonnenuhren bewundern.


Und die Vickys erreichen die Ziellinie zum ersten Mal ohne eine einzige Panne! Das müssen die Vickynger feiern!


Bad Bayersoien – Bad Tölz,105 km

Dienstag, 18. Juni 2019


Ein sonniger Morgen! Wir starten nach Oberammergau, der Kofel (Hausberg) bewacht den Ort, bis heute kann man an vielen Gebäuden die Lüftlmalerei aus dem 18. Jh. noch bewundern. Lüftlmalerei ist auch heute noch eine bayrisch-österreichische Kunstform der Fassadenmalerei, die Architekturelemente imitiert.


Nicht weit entfernt, aber weithin sichtbar ist die Benediktinerabtei Kloster Ettal, gegründet 1330, mit seiner Destillerie und Brauerei.


Das Zugspitzmassiv (2‘962 m) ist schon lange sichtbar, bevor wir Garmisch-Partenkirchen erreichen, das Zentrum des Werdenfelser Landes, mit der Olympia-Skistation und der grossen Olympia-Schanze.


Jetzt weichen wir von der geplanten Route ab und verzichten auf den grenznahen Achenpass. Es gibt keinen Fahrradweg über den Pass, Autos können die langsamen Mopeds nur schwer überholen und es würden sich lange Schlangen hinter den Vickys bilden.


Umso schöner Ist die Strecke am Walchensee - der See hat eine unglaubliche Farbe: kräftig türkis. Im Ort Walchensee finden wir das Wikingerdorf, in dem der Film „Wickie und die starken Männer“ gedreht wurde. Wir haben auch eine Vicky und drei starke Männer! Ganz klar, dass unsere Vickynger im Wikingerdorf posieren müssen!


Es ist auffällig, dass keinerlei Hilferufe von den Männern kommen. Ausser dem geplanten Tankstopp in Garmisch-Partenkirchen benötigen die Vickys keinerlei Wartung. Einfach toll - sie laufen und laufen, bergauf und bergab - wer hätte das letzte Woche noch zu hoffen gewagt!?


Es liegt noch ein weiterer See an der Strecke, der Kochelsee. Dann erreichen wir pannenlos unser Ziel: Bad Tölz. Die Isar lädt zu einem Spaziergang an ihrem Ufer ein. In der Marktstrasse präsentieren sich die mit üppigen Lüftlmalereien geschmückten Häuser der Tölzer Kaufleute und Patrizier.


Es ist sehr entspannend, wenn die Mopeds einfach so ins Ziel einlaufen und nicht gleich wieder mit Fehlersuche und -behebung begonnen werden muss.


Bad Tölz – Siegsdorf, 127 km

Mittwoch, 19. Juni 2019


Meine drei Herren starten aus Bad Tölz in Richtung Tegernsee. Ich mache einen kurzen Stopp in Miesbach, einem Zentrum der bayrischen Brauchtumspflege und Trachten. Es ist 9 Uhr 20 und auf dem Marktplatz findet nicht nur der Wochenmarkt statt, sondern es wird auch zünftig Brotzeit gemacht. Alle Festbänke vor dem Gasthaus sind  gedrängt besetzt und die Gäste lassen sich die Weisswürscht und die Bretzn schmecken.


In Bad Aibling sehe ich die Mopeds schon von Weitem vor dem Rathaus stehen, dann sind die Jungs also irgendwo in einem Café und geniessen Apfel- oder Erdbeerkuchen. Ich fahre schon mal nach Rosenheim voraus. Peters Frau hat an das UPS-Kundencenter ein Paket mit verschiedenen Ersatzteilen für die Vickys geschickt - ich kann es heute abholen.


Das Wetter ist wieder herrlich, die Mopeds verhalten sich hervorragend - und die Touristen drängen in Scharen auf die Ausflugsboote am Chiemsee. Wir begnügen uns mit einem Eis.


Siegsdorf liegt sechs Kilometer vor Traunstein - hinter dem Hotel auf einer schattigen Grünfläche sind nun wieder Pflege- und Wartungsarbeiten an den Mopeds fällig, damit sie auch weiterhin die Tagesetappen problemlos gewältigen können.


Siegsdorf – Altötting, 118 km

Donnerstag, 20. Juni 2019


In Inzell im Kurpark treffen wir auf einen Fronleichnamsgottesdienst - Frauen und Männer in Tracht und die Blasmusiker tragen alle den Hut mit weissem Adlerflaum (statt Gamsbart). Die Stadt ist bekannt durch das Bundesleistungszentrum für Roll- und Eisschnelllauf.


Eine Umleitung nach Bad Reichenhall beschert uns einen extrem steilen Weg hinab in die Weissbachschlucht, die Vickys schaffen bergab sogar 68 km/h (Gang raus!) ... aber unten müssen erst mal wieder Vergaserprobleme behoben werden. Dazu schiebt man das Moped lieber ein paar Meter zurück, weg von der Fahrbahn, auf einen Parkplatz.


Bad Reichenhall erkennt man schon daran, dass der erste Kreisel mit einem überdimensionalen Salzstreuer geschmückt ist. Bei dem guten Wetter ist der Kurpark gut besucht, die Jungs machen aber einen Bogen um die „feinen“ Leute und verspeisen ihre Weisswürste lieber vor einem Gasthaus am Marktplatz.


Rainers Moped streikt zum wiederholten Mal, bisher war es immer der Vergaser, wer denkt denn da schon dran, dass die Ursache diesmal ganz banal ist: kein Benzin mehr. Da ich mich wegen der anfänglichen Probleme immer in der Nähe der Vickynger bewege, ist der Treibstoff sofort verfügbar.


Wegen des Feiertags in Bayern (Fronleichnam) sind die Fahrrad- und Wanderwege völlig überbevölkert; den Herren wird unmissverständlich durch Worte und Gesten zu verstehen gegeben, dass sie auf diesen Wegen unerwünscht sind. Aber die Autofahrer sind auch nicht glücklich, wenn sie mit 30 km/h hinter den Vickys herschleichen müssen und nicht überholen können.


Die Badewiesen rund um den Waginger See sind ebenfalls gut belegt, eine Kaffeepause mit Erdbeerkuchen und Schlagsahne legen wir erst in Tittmoning ein. Der Ort ist nur durch zwei Tore zugänglich, der Stadtplatz dazwischen ist ungewöhnlich: 300 m lang, die Hausfassaden links und rechts wirken total geschlossen.


Altötting (Oberbayern) hat als Wallfahrtsort eine überregionale Bedeutung, auf dem zentralen Kapellplatz befindet sich neben der Gnadenkapelle (1670) und St.-Magdalena-Kirche (1697) auch das Rathaus von 1908.


Übrigens haben die Vickys inzwischen etwas mehr als 3‘200 km zurückgelegt.


Altötting – Obernzell, 115 km

Freitag, 21. Juni 2019


Blitz, Donner und Regen während der Nacht bringen die Temperaturen wieder auf ein erträgliches Niveau. Bewunderer ergötzen sich inzwischen nicht mehr nur am Anblick der Oldtimer-Mopeds, sondern äussern auch ungläubiges Erstaunen ob der über 3‘000 km, die wir mit den „Dingern“ inzwischen zurückgelegt haben.


Wir folgen dem Lauf des Inn, der gleichzeitig die Grenze zu Österreich bildet. Die Vickynger vermeiden heute weitgehend Fahrradwege, was für mich die „Verfolgung“ einfacher macht.


Eine kleine Bemerkung in eigener Sache: Es ist schon eine Herausforderung, am katholischen Feiertag (Fronleichnam) in einem Wallfahrtsort (Altötting) am Vorabend drei Zimmer zu finden. Oder am heutigen Brückentag direkt am viel frequentierten Donau-Radwanderweg ...


An der Ortsspitze von Passau fliessen Donau, Inn und Ilz zusammen, dahinter erhebt sich die imposante Stadtkulisse mit Dom, Rathaus und Veste Oberhaus, eine der grössten Festungen Europas. Den besten Blick auf alles hat man vom Mariahilf-Berg, nachdem man die 321 Treppen der 1628 erbauten Wallfahrtsstiege bewältigt hat (hab ich!).


Kurz nach Obernzell mündet der Kohlbach in die Donau, hier steht ein Gasthaus mit Fremdenzimmern und einem Campingplatz. Und einer grossen Biergarten-Terrasse direkt am Donauufer. Flussfahrtschiffe ziehen gemächlich vorüber ...


Besondere Vorkommnisse: Nur ein kleiner Eingriff bei Rainers Vicky, der ihn aber erheblich schneller werden lässt.


Obernzell – Spiegelau, 82 km

Samstag, 22. Juni 2019


Gestern Abend/Nacht wurde uns wieder einmal die Abhängigkeit von Mobilfunk und Internet vor Augen geführt: Routenplanung fürs Navi und Hotelsuche sind unmöglich, das Hochladen der Webseite ebenso. Heute kommt also die gute alte Papierlandkarte zur Geltung - zum Glück gibt‘s die noch! Bei der Hotelsuche ist wohl heute der letzte kritische Tag, in Bayern gehen die Pfingstferien zu Ende und auch Fronleichnam-Brückentag-Urlauber brauchen ab morgen keine Zimmer mehr.


Der Wettergott spielt seine Macht aus: Was er uns bisher immer nur nachts beschert hat, schüttet er heute Vormittag über uns aus. Ich sitze zwar geschützt im Auto, aber der Regen prasselt derart laut aufs Dach, dass die Nachrichten im Autoradio nur bei voller Lautstärke zu hören sind. Ich suche die Jungs und finde sie lachend unter dem schützenden Dach einer Bushaltstelle.


Die Vickys kämpfen sich tapfer bergauf und bergab durch die schöne Landschaft und verlangen nur einmal einen kleinen Eingriff.


Rechts von uns liegt nun bereits die Tschechische Republik und wir bewegen uns im Nationalpark Bayerischer Wald an der „Glasstrasse“. Die Orte Frauenau, Spiegelau und Zwiesel haben eine lange Tradition in der Glasherstellung (14. Jh.).


Spiegelau – Schönsee, 137 km

Sonntag, 23. Juni 2019


Weiter geht es auf der „Glasstrasse“. In Zwiesel steht die höchste Kristallglas-Pyramide der Welt - sie ist acht Meter hoch und über elf Tonnen schwer. Auf 65 Ebenen wurden 93‘665 Weingläser ohne Verwendung von Klebstoff aufeinandergestapelt.


In Bodenmais lassen sich die Jungs wieder Weisswürste schmecken, die in einer wunderschönen blau-weissen Suppenterrine serviert werden. Da ist es um mich geschehen: Ich kaufe für uns auch so einen Weisswursttopf! (Wir essen diese Würste auch zuhause oft.)


Das ständige Auf und Ab durch den Bayerischen Wald und den Oberpfälzer Wald strapaziert sowohl die Vickys als auch die Vickynger sehr. Die Topografie lässt sich aber leider nicht ändern, da müssen Mensch und Maschine durch bzw. drüber.


Die letzte Etappe navigiert Rainer auch noch etwas „kreativer“ als geplant und verlängert die Strecke dadurch um einige Kilometer. Aber unter dem Strich sind alle glücklich: Die Vickys haben heute 137 km ohne jede Panne zurückgelegt. Hochachtung!


Heute geht unsere fünfte Vicky-Woche zu Ende. Wer hätte am Anfang gedacht, dass die Mopeds und wir wirklich so lange durchhalten ...


Schönsee/Opf. - Schönwald/Ofr., 128 km

Montag, 24. Juni 2019


Es ist erwiesen: Peters Vicky läuft bergauf am besten. Und bergab gerät er so in Euphorie, dass er einfach fährt und fährt und fährt. Weit voraus. Er hört keine Abbiegeanweisung von Rainer und ist weg. Gestern Abend haben wir noch darüber gesprochen, ob jemand an einer Besichtigung von Flossenbürg (ehem. KZ) Interesse hat. Das wurde allgemein verneint. Aber nun ist Peter allein dorthin unterwegs ...


Ich habe ihn natürlich gefunden und auf den richtigen Weg geschickt. Aber Peter ist stur. Bei der erstbesten Möglichkeit biegt er wieder ab - nach Flossenbürg. Er kommt mir plötzlich entgegen. Vorsichtshalber setze ich mich nun vor ihn, „geleite“ ihn zu den beiden wartenden Vickyngern und lasse ihn nicht mehr aus den Augen!


Wir haben die „Glasstrasse“ hinter uns gelassen und befinden uns nun auf der „Porzellanstrasse“. Alle namhaften deutschen Manufakturen sind hier vertreten, in Tirschenreuth, Arzberg oder Selb.


Unsere Unterkunft liegt etwas ausserhalb von Selb, immer noch in Bayern, aber inzwischen in Oberfranken im Fichtelgebirge, direkt an der tschechischen Grenze. Selb gehört der grenzüberschreitenden „Mikroregion Freunde im Herzen Europas“ an.


Die drei Herren kommen total frustriert, erschöpft und verschwitzt im Hotel an, denn die grösste Steigung des gesamten Streckenverlaufs befindet sich ausgerechnet am Ende der Tour.


Zurückgelegter Höhenunterschied heute total 1‘143 Meter bergauf und 1‘077 Meter bergab. Eine stramme Leistung!


Schönwald – Olbernhau, 176 km

Dienstag, 25. Juni 2019


Schon bald stehen wir an der Grenze zu Sachsen, am Strassenrand zeigt uns ein Schild den Grenzverlauf der ehemaligen Teilung Deutschlands und Europas.


Jetzt befinden wir uns im Vogtland, nun ist Schluss mit Weisswurst, auf dem Teller liegt eine Thüringer Bratwurst (obwohl wir im Freistaat Sachsen sind). Die Strassen sind beschildert mit „Deutsche Alleenstrasse“ - der alte Baumbestand spendet bei dieser Hitze wenigstens etwas Schatten! Oder „Silberstrasse“ - sie verbindet viele Sehenswürdigkeiten in Zusammenhang mit dem jahrhundertealten Bergbauwesen in Sachsen.


Das Erzgebirge hat die Vickys und Vickynger fest im Griff. Man hat das Gefühl, es geht immer nur bergauf. Der Traum vom Fahren in der Ebene erfüllt sich noch lange nicht! Und was hier mit „Fahrradweg“ beschildert ist, endet auch schon mal in einem Käfig: Der Belag wechselt von Teer zu Schotter, dann zu zwei Sandspuren mit Grasnarbe in der Mitte. Dann nur noch Gras. Steil bergab. Peter meint, das geht. Am Ende stehen drei Häuser, umringt von einem Zaun. Vorne ein Tor. Geschlossen. Ratlose Gesichter. Der einzige Weg ist der zurück: die Vickys durch das Gras steil bergauf schieben ... Aber da die Jungs Glückspilze sind, kommt jemand mit einem Schlüssel für das Tor und der Bemerkung: Diese Strecke wird schon lange nicht mehr benutzt.


Nach 102 km kommt das Aus für Rainers Moped. Rainer hat gestern schon einen starken Leistungsabfall bemerkt, heute zwischendurch auch mal den Vergaser gereinigt. Am letzten steilen Anstieg muss Rainer kräftig mittreten, dann geht der Motor aus und springt auch nach einem Erste-Hilfe-Einsatz nicht mehr an. Vermutung: verkokter Auslassschlitz oder defekter Kolbenring. Das notwendige Prozedere beherrschen wir aus dem „FF“ - Fahrradträger auspacken, aufsetzen, Moped draufschnallen, Fahrer sinkt auf den Beifahrersitz und ab ins 50 km entfernte Hotel.


Ich fahre dann wieder zurück auf die Strecke, finde Peter und Ingo (die nun ohne Navigator unterwegs sind) und geleite sie sicher zur Unterkunft.


Die Topografie heute führte insgesamt 2‘197 m nach oben und 2‘348 m wieder nach unten. Und wir dachten, das Allgäu sei in Bezug auf das Streckenprofil ein Problem ...


Obernhau – Stolpen, 98 km

Mittwoch, 26. Juni 2019


Neue Situation: Wir lassen Rainers Vicky auf dem Fahrradträger und fahren dem Paket mit Ersatzteilen entgegen. Es sollte am Donnerstag in Görlitz eintreffen. Ein weiteres Paket erwarten wir morgen Früh in unserem Hotel in Stolpen. Danke Heike! (Peters Frau)


Rainer fährt im Auto mit, wir besprechen mit den beiden anderen Herren die Route und schicken sie alleine los. Aber wir bleiben immer in der Nähe und stehen auch rechtzeitig vor ihrer Ankunft an kritischen Kreuzungen, um ihnen die Richtung zu zeigen.


Es klappt. Bis wir uns plötzlich auf einer als „Autostrasse“ gekennzeichneten Strecke wiederfinden und nicht mehr umkehren können. Die Mopeds im Schlepptau. Wir mit dem Auto verlassen diese Schnellstrasse an der nächsten Ausfahrt, die beiden Vickys fahren unbeirrt bis zum Ende weiter und umgehen damit gewollt/ungewollt das Stadtgebiet. Geschickt und mutig!


Zwischendurch löst sich bei Ingos Moped der Sensor seines Tachometers vom Vorderrad - das geht nun gar nicht! Schliesslich muss er abends wissen, wie viele Kilometer er gefahren ist! Im Schatten eines grossen Baumes wird Abhilfe geschaffen - wir haben über 35°C.


Stolpen liegt in der Sächsischen Schweiz, auf einem Basaltfelsen thront über der Stadt die Ruine der Burg Stolpen und der Stolpener Markt steht als Kulturdenkmal unter Schutz. Trotz Hitze machen wir uns auf einen Besichtigungsrundgang.


Stolpen – Görlitz, 73 km

Donnerstag,  27. Juni 2019


Peter und Ingo fahren nach dem Frühstück mit Streckeninformationen und Hoteladresse los. Wir müssen noch auf den Postboten warten, er kommt pünktlich und bringt noch vor neun Uhr das Päckchen mit den bestellten Kolbenringen. Rainer und ich fahren direkt nach Görlitz, kontrollieren aber immer wieder anhand der Standort-Freigabe auf Google Maps, dass die anderen beiden Vickynger auf dem richtigen Weg sind.


Auch das Paket mit den Zylinderkopfdichtungen ist beim UPS-Auslieferpunkt angekommen und wir gönnen uns zwei Stunden Görlitz. Ein Rundgang durch die Altstadt bestätigt, dass man hier ein paar Tage braucht, um alles zu sehen und zu verstehen. Die Stadt blieb im 2. Weltkrieg weitestgehend von Zerstörungen verschont, da die deutschen Truppen alle Neisse-Brücken gesprengt haben.


Die Altstadt gilt als eine der schönsten Europas - mit grossartiger Architektur. Wir laufen auch mal über die Altstadtbrücke hinüber in den polnischen Teil der Stadt, die Neisse bildet hier die Grenze. Görlitz ist die östlichste Stadt Deutschlands.


Der Nachmittag gehört ganz und gar Rainers Vicky. Peter und er schrauben, analysieren, putzen, basteln, wechseln Teile aus, putzen usw. Vermutlich waren die Kolbenringe verschlissen. Leider passen die neuen nicht hundertprozentig. Kann sein, dass das Problem wieder auftaucht. Aber erst mal läuft das Moped. Mit der Leistung ist Rainer noch nicht ganz zufrieden, aber er wird seine Vicky morgen auf der Strasse austesten.


Zwischendurch hat Peter um eine Sitzgelegenheit gebeten (der Benzinkanister ist auf Dauer doch etwas unbequem). Rainer findet auf dem Sperrmüll hinterm Hotel einen Bürostuhl, warnt aber, dass der Sitz feucht ist. Was von Peter ignoriert wird. Und Rainer hatte etwas untertrieben - jetzt läuft Peter mit nasser Hose herum ...


Görlitz – Forst, 95 km

Freitag, 28. Juni 2019


Am Strassenrand steht ein Schild: „Oder-Neisse-Radweg, Insel Usedom nur noch 5 1/2 Tage“ - ich hoffe, wir schaffen das in drei Tagen!


Aber bald schon löst sich bei Rainers Vicky wieder die Mutter am Pedal - und da wir schon seit einiger Zeit wieder in einem Mobilfunkloch stecken, merke ich nicht, dass die Herren sich nicht mehr fortbewegen. Ich habe auch keine Ahnung, wo sie gerade sind. Bis mein Telefon klingelt und der „Werkstatt-Wagen“ angefordert wird.


Die Vickys erhalten auch gleich noch einen Schluck Treibstoff, das verschafft mir etwas Freizeit im Muskau-Park, einem Landschaftspark, der massgeblich Fürst von  Pückler-Muskau (1785 - 1871) zu verdanken ist. Seit 2004 steht er auf der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes. Die drei Herren lassen es sich nicht entgehen, eine grosse Portion Fürst-Pückler-Eis mit Sahne zu vernaschen, obwohl keiner von ihnen die Sorten-Mischung (Vanille, Erdbeer, Schoko) gern hat. Oben im Bild: das neue Schloss.


Wir verlassen jetzt Sachsen, das Städtchen Forst gehört bereits zu Brandenburg. Hier finden gerade die Rosengartenfesttage statt mit viel Musik, Unterhaltung, Krönung der Rosenkönigin, Wasserspielen und Feuerwerk.


Und die Vickys erreichen unsere heutige Unterkunft ohne weitere Probleme - willkommen in Forst/Lausitz.


Forst – Genschmar, 129 km

Samstag, 29. Juni 2019


Wir sind auf dem Weg nach Frankfurt/Oder. Es ist sehr reiseunfreundlich hier. Keine Tankstellen. Keine Verpflegungsmöglichkeiten (feine Restaurants erwarten wir gar nicht). Keine Unterkünfte (von Hotels ganz zu schweigen). Kein Netz, ich kann Rainer mit dem Handy nicht mehr orten. Das Navi schickt mich zum Tanken über die Lausitzer Neisse nach Polen, aber da sieht es aus wie in Syrien - ich kehre lieber wieder um.


In Frankfurt (Oder) treffe ich zufällig wieder auf die drei Vickynger, eine Ortung ist ja nicht möglich, aber die Verhaltensmuster wiederholen sich. Sie sitzen bei Bellini und essen. Das Rathaus ist ein typisch hanseatischer Ziegelbau mit Arkadengang und hohen Rechteckfenstern. Gleich daneben befindet sich die St.-Marien-Kirche in norddeutscher Backsteingotik.


Die Jungs wollen dann wieder losfahren - aber Rainers Vicky streikt schon wieder und will nicht anspringen. Rainer ist etwas genervt ...


Die Landschaft ist flach hier. Fast wie in Ostfriesland. Die Jungs fahren auch auf dem Oder-Deich durch den Oder-Bruch. Und wo ein Deich ist, da gibt es auch Schafe. 


Unsere Unterkunft ist von der einfachsten Sorte, aber zumindest haben wir ein Dach über dem Kopf. Hier ganz im Osten von Brandenburg, dicht an der polnischen Grenze, ist touristisches Ödland. Auch diese Erfahrung gehört dazu, wenn man Grenzerfahrungen sammeln möchte.


Unter „Reiserouten“ zeigt sich deutlich, wie weit wir inzwischen gekommen sind. Mehr als 4‘000 Kilometer ... Schon allein das ist ein Riesenerfolg!


Genschmar – Mescherin, 125 km

Sonntag, 30. Juni 2019


Das Niveau unserer Unterkunft „Hauptsache ein Dach über dem Kopf“ bestätigt sich heute Morgen gleich mit zwei Anschnauzern unseres Gastgebers: „Nicht über den Rasen laufen!“ (welchen Rasen?) und „Leute in ihrem Alter sollten wissen, dass man Mopeds nicht an die Fassade lehnt!“ (Äh - die soll frisch gestrichen sein?)


Um neun Uhr morgens zeigt das Thermometer bereits 29 Grad, um halb zehn sind es schon 30 Grad - es geht rapide aufwärts bis 38°C! Zum Glück bereiten mir die Vickynger kein schlechtes Gewissen, dass ich den Kopf nicht unter dem Helm, sondern unter dem Dach des klimatisierten Autos habe.


Und wieder geraten die Jungs auf eine Schnellstrasse. Diesmal ist ihnen das Glück nicht hold, sie werden von der Polizei angehalten, mit einer Busse belegt und von der Strasse gewiesen. Allerdings haben sie grosses Glück, dass der Beamte nur noch einen einzigen Bussgeldzettel bei sich hat. Den stellt er auf eine Person aus und bittet um zwanzig Euro mit den Worten „Wenn ihr euch die teilt, ist es für den Einzelnen ja nicht so teuer.“


Viele Strassen und Alleen hier sind Zeitzeugen von alten Postrouten, die von Berlin ausgingen. Wir sehen immer wieder Meilensteine (Säulen) mit Entfernungsangaben, z.B. XIV Meilen bis Berlin. Sie wurden 1730 gesetzt, eine preussische Meile beträgt 7.5 km (heute also 105 km).


Wir fahren über Bad Freienwalde und Schwedt nach Mescherin, einem kleinen Ort direkt an der Oder. Unterwegs laufen zwei Füchse gemächlich vor dem Auto über die Strasse und etwas flinker auch ein Reh. Rainer hatte es dafür mit Gänsen zu tun.


Und heute haben wir sechs Wochen Grenzerfahrungen voll.


Mescherin – Anklam, 119 km

Montag, 1. Juni 2019


Durch eine Landschaft mit ausgedehnten gelben Getreidefeldern begleiten wir die Oder nur noch ein kleines Stück, dann verlassen wir Brandenburg, sind in Mecklenburg-Vorpommern und in der Ueckermünder Heide. Die Häuser verändern langsam ihr Aussehen, Fachwerk taucht vermehrt auf und die Dächer sind zum Teil wieder mit Reet bedeckt.


Dann finde ich die Herren wieder schraubend am Waldesrand - Rainers Zündung ist der Grund allen Übels ...


Über Ueckermünde am Stettiner Haff gelangen wir nach Anklam, laden unser Gepäck im Hotel ab und fahren alle vier mit dem Auto zur Insel Usedom, nach Ahlbeck zur Seebrücke und weiter auf eine kleine Inselrunde. Usedom ist nach Rügen die zweitgrösste deutsche Insel, eine zwölf Kilometer lange Strandpromenade verbindet die Seebäder Bansin, Heringsdorf und Ahlbeck.


Im Dorf Usedom essen wir noch zu Abend und ohne „Wartung und Pflege“ der Mopeds machen wir uns an die Routenplanung für morgen und auf die Suche nach einer Unterkunft.


Ein schwieriges Unterfangen. Das Preisniveau in Hotels an der Küste ist sehr hoch, viele Häuser sind ausgebucht oder haben keine drei Zimmer mehr frei. Landgasthäuser kann man meist nicht über ein Portal direkt buchen, man muss anrufen und alle einzeln abfragen. Oder man muss die geplante Route ändern und weit ins Inland gehen.


Anklam – Rövershagen, 129 km

Dienstag, 2. Juli 2019


Kein guter Start. Die Zündung von Rainers Vicky bereitet immer noch Probleme, obwohl ihr schon früh am Morgen viel Aufmerksamkeit geschenkt worden ist.


Bei leichtem Nieselregen starten wir nach Greifswald (kurze Pause) und orientieren uns dann Richtung Rostock. Die Vickys laufen - bis zum Tankstopp. Auf einem Feldweg. Es reicht nicht, dass Rainers Moped wieder nicht anspringt - nein. Seine Kräfte raubenden Versuche, durch anhaltendes In-die-Pedale-treten die Vicky zum Anspringen zu bewegen, werden von einem heftigen Regenguss begleitet.


Wir fahren leicht entfernt von der Küste, erstens sind die Unterkünfte etwas moderater im Preis als an der Ostsee, zweitens bleiben wir so innerhalb der vereinbarten Distanz (ca. 120 km). Und auf Nebenstrecken entdeckt man manchmal ein Kleinod. Wie etwa Grimmen. Die Altstadt bietet ein sehr geschlossenes Bild und weist mehrere Bauwerke der Backsteingotik auf, u.a. das Rathaus und drei quadratische Stadttore aus dem 14. Jh. Ausserdem hat Grimmen einen Bäcker mit sehr appetitlich belegten Brötchen für meinen Lunch!


Kurz vor Rostock liegt unser Landhotel, mitten im Nichts, nur Weite, viel Himmel - und noch mehr Wind. Von den Feldern weht der Duft von reifen Erdbeeren herüber ...


Rövershagen – Lübeck, 164 km

Mittwoch, 3. Juli 2019


In Rostock - Regen. In Heiligendamm - bewölkt. In Kühlungsborn - Sonne! Von der Ostsee her weht ein kräftiger Wind, der heisse Tee wärmt gar nicht so richtig. Und Rainers Vicky verträgt die Pausen nicht - sie will einfach nicht mehr anspringen. Irgendwann schafft sie es dann doch.


Heiligendamm ist der älteste Seebadeort Deutschlands und ganz Kontinentaleuropas; er wurde bereits 1793 gegründet. Durch den G8-Gipfel im Juni 2007 erlangte der Ort internationale Bekanntheit.


In Wismar finde ich die drei Vickys einsam vor einer Fischküche, die Herren pflegen also irgendwo wieder einmal die Esskultur. Wismar ist Hansestadt und die historische Altstadt steht auf der Welterbeliste der UNESCO.


Dann erreichen wir Lübeck - und der Kreis rund um Deutschland schliesst sich hier. Nach sechseinhalb Wochen und knapp 4‘800 km erfüllt sich für Peter sein mehr als dreissigjähriger Traum, mit einer Vicky III einmal um Deutschlands Grenzen zu fahren. Aber als Peter damals davon träumte, war Deutschland allerdings noch etwas kleiner.


Wir haben es mit den Grenzen nicht immer ganz genau genommen, aber dass die Oldtimer-Mopeds diese lange Fahrt mitgemacht und überstanden haben, ist ein grossartiger Erfolg. Diese Reise war für uns alle ein Erlebnis, an das wir noch lange denken werden.


Lübeck – Schenefeld, 90 km 

Donnerstag, 4. Juli 2019


Das Projekt Vicky III ist abgeschlossen. Die Vickys sind heute von den unerschrockenen Vickyngern in ihren „Heimathafen“ Schenefeld bei Hamburg pannenfrei überführt worden und harren nun der Dinge, die vielleicht noch auf sie zukommen.


Wir danken allen, die uns virtuell auf der Reise begleitet, uns immer wieder Mut zugesprochen oder einfach mal einen Gruss geschickt haben. Darüber haben wir uns immer sehr gefreut.


Im Namen aller Vickynger

Gabi Rathje


Übrigens: Trotz aller Erinnerungen, die an der Vicky hängen, und aller Erlebnisse mit ihr, besteht für Rainer kein echter Bedarf für ein Moped. Wir hängen doch sehr an unserer BMW. Die Deutschland-erfahrene Vicky III steht zum Verkauf. Bei Interesse bitte melden.

 
 
 

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